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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,4.1912

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Heft 21 (1. Augustheft 1912)
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Rundsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9025#0232
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dem Weg des Eindringens in deut-
sches Wort und deutsche Sprache
fand ich erst recht, wie nötig es
ist zu scheiden zwischen Worten, die
uns beim besten Willen nichts zu
sagen haben, weil sie Fremdgut sind
und bleiben, und Gedanken, die uns
nun erst doppelt reizen, ihrer im
Ausdruck der heimischen Empfin--
dungswelt habhaft zu werden. Ich
danke dem Mann aus dem Volk
für manche Einsicht, die mir so
ungeahnt zuteil geworden ist.

Das andere, was ich lernte, war:
man kann noch lange nicht verständ-
lich reden, auch wenn man sich die
tönenden und klingenden Fremd-
worte abgewöhnt hat. Es gibt
Fremdworte, die unentbehrlich sind,
und man soll die ganze Frage nicht
oberflächlich behandeln, indem man
die Worte darnach abzählt, ob sie
Fremdworte sind oder nicht. Nein;
die Sprache will um sich werben
lassen. Sie schenkt sich nicht jedem.
Sie ist eifersüchtig auf ihre Ge-
schichte und ihren Laut, in dem !
so viel altes Gold liegt. Diese
Schätze wollen gehoben werden;
mindestens soll man sie ahnen ler-
nen und so ein Leben mit der
Sprache selbst sich angewöhnen. Die
Sprache eines Volks ist wie ein
wundersamer Wald mit viel lustigen
Durchblicken und manchem Ge-
strüpp, voll junger Bäumchen und
altehrwürdiger Riesen. Da gilt es
nicht nur hindurchzugehen und sich
beschatten zu lassen. Man hat
lange, lange Zeit nötig, um die ge-
heimen Wege zu kennen und Arten
undSchichten desHolzes und Schlags
zu lieben. Darum tut es mir so
leid, daß wir unsere eigene Sprache
so wenig kennen. Ich rede nicht als
Schulpolitiker. Ich traure nur über
den vergessenen Reichtum unserer
Sprachgeschichte. So ein einziges
Wort ist wie ein Mensch. Es er- j
lebt sein Alter und freute sich seiner !

Iugend. Es war geschmeidig und flink
und wurde hölzern und zäh. Aber
wir merken so wenig davon. Wer
gut reden will, muß in die Sprache
verliebt sein. Ohne solche Liebe zum
Wort gehorcht es ihm nicht. Es
verschließt ihm seinen Ton. Er
weiß nur, wie man es braucht und
was es gilt. Aber er hat ihm selbst
nie zugehört und nicht belauscht,
aus welcher Quelle es strömt und
wie sein Flußlauf war. Drum danke
ich wieder dem Mann aus dem
Volk. Richt als ob gerade er seine
Sprache besser verstünde. Aber er
arbeitet doch mit weniger Worten
und sie sind ihm drum noch nicht
so glatt und gleichgültig geworden.
Sie stehen noch sicher da und be-
deuten etwas.

And endlich lernte ich, wie Ver-
stehen und Mißverstehen unter
Menschen, die eine gemeinsame
Richtung haben, schließlich nur ein
Streiten um Worte ist. Freilich
liegt im Wort, das man sich er-
streitet und mit neuem Inhalt füllt,
zugleich ein gewisses Anrecht auf
seine ganze Geschichte. Der Streit
um ein solches Wort ist zugleich
ein Streit um das Recht, neben
jenen Ahnen zu stehen und sich
neben ihnen sehen zu lassen, die einst
das Wort gebrauchten. Aber bei
der Fülle unserer heutigen Aus-
einandersetzungen wäre man sich
klarer, wenn zweierlei Gemein-
regel wäre: daß jeder klar zu er-
kennen gäbe, wie er die Worte
und Schlagworte meint und — das ist
freilich das Größere und Schwerere:
daß jeder seinen Willen offen-
barte, in welcher Richtung er wan-
dern will, ob vorwärts oder zurück,
ob mit den andern oder gegen sie.
Hier fängt die Leidensgeschichte der
Worte an; denn nun werden sie im
Kampf der Geister zu Trägern von
Gesinnungen, die unter Nmständen
himmelweit voneinander verschieden

h Augustheft W2 M
 
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