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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI issue:
Heft 10 (Juliheft 1930)
DOI article:
Heilbrunn, Ernst: Englische Nachkriegsliteratur, [1]: D. H. Lawrence
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0265
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Dazu ist Englands Lage heute zu sorgenreich, und um sich blindcn Eifers in
einen nackten Pragmakismus zn stürzen, dazu ist es doch wieder charakkerlich
viel zu gnk fundiert. So erleben wir feiL geraumer Zeit eLwas wie ein Auf-
Lauen Englands von nördlicher Starre, es herrfchL immer weniger konven-
Lionelle SchüchkernheiL und ZaghafkigkeiL, Lolle Kapriolen werden in
vollem LichLe vorgeführk, der hemmungslose Frondeur und Bohemien,
liigbbrovv genannk, hak guLe ZeiLen, und im GegensaH zu den hoch-
ragenden Nebellen der leHLen GeneraLion wie Swinburne, Browning, Wilde
(Shaw sollke man hier gcwiß nichk nennen; er gehörk zum englifchen Leben
wie der Narr zum HofstaaL) sind es nichk große Einsame, sondern eine Be-
wegung ist in Fluß gekommen. England verfchließk sich nichk mehr dcm
Ehaos, dem zeugerifchen GluLstrom der Erde.

Sehr stark in den Vordergrund haL sich hierbei D. H. Lawrence*) gestellk,
als SansculoLLen bezeichneke er sich selbst. Im März ist er 44jährig gestorben
außerhalb seines Landcs am südlichen Meer, wie so viele der durchgluLetsten
Engländer seik Shelley, aber auch schon zuvor. Es ist viel Skandal um ihn
gewesen, mehrere seiner Bücher wurden verboken, und da er von Iugend auf
malke, ließ man sich die GelegenheiL nichk enkgehen, noch leHLes Jahr eine
Ausstellung seiner Bilder zu schließen. Aber wir wollen darum nichk die
Skandale in die MiLke unserer BeLrachkung rücken, es wäre von haltloser
Sensakion und gewiß nichk in seinem Sinn. So sehr ihm diese Rolle fast
aufgezwungen wurde, er war kein yoois mauckit, und Haschisch wie bei
Baudelaire, oder, um in England zu bleiben, Opium wie bei Thomas de
Lwincey (der Baudelaire mächkig begeisterke und den er überseHke; diese Enk-
stehungsgeschichke des SaLanismus ist bei uns in Deukschland meist unbekannk!)
spielen bei Lawrence keine Rolle. Im Gcgenkeil. Ein fast idealistisches Ekhos ist
sein ofk ironifch überdcckkes Geheimnis. Glejchwohl ist er nakürlich durch die
Niederungen Londoner Literaken- und Arkistenklubs, -kneipen und -akeliers
hindurchgegangen. Aber Dehmels WorL möchke ihm da nahe gewesen sein:
„Nvch hak niemand GoLL erflogen, der vor Gokkes Teufeln flüchkek."

Wir wollen auch nichk übersehen, daß Lawrence nichk ekwa eine Erscheinung
ist, die durch den Krieg ihr Damaskus erlebke und nun dic alken GöLLer stürzke.
Englische gewalkLäLig-unbedingke Kasernicrung alles Sponkan-Gefahrvollen
hieß ihn schon vor dem Krieg neue, quellcndere Länder aufsuchen. Nachdem er so
schon vor dem europäischen Zusammenbruch der „Mann, der Jnscln liebke" ge-
wesen (Tikel ciner seiner Novellen), fühlke die Nachkriegszeit unvermukek das
Verlangen, ihrerseiks das anscheinend so fest gewesene Land zu verlassen und
bei ihm, wenn auch probeweise und unverbindlich sich anzusiedcln.

Lawrence stammk aus dem Kohlenbezirk und war einfachcr Bergarbeikerssohn.
Doch läßk sich sein hi'nkergründiges und komplizierkes Wesen dadurch gewiß
nichk erklären, so sehr man dieses FakLum, pi'LLoresk aufgepuHk, immer wieder
unkerstrich. Lawrence ist ein SchrifLsteller, der in erstaunlichem Maße die

Von Lawrence sind in deutscher Übersetzung crschienen: „Der Regenbogen", „Liebende Frauen",
„Söhne und Liebhaber", „Oie Frau, die daoon ritt" (sämtlich Jnsel-Verl). Bei der Oeutschen
Berlagsanstalt, Stuttgart „Jack i,n Buschland"; im Oornoerlag München „Spicl deS Un-
bewußten". Jn Kürze erscheint im E. P. Tal-Derlag Wicn „Lady Chatterley und ihr Liebhaber"
(nur auf Subskription).

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