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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch
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Heilbrunn, Ernst: Englische Nachkriegsliteratur, [1]: D. H. Lawrence
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0264

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Weibsperson von etwa dreißig Iahren, weiß wie ein Gespensi von Angesichk,
und bewegie keine Miene. Jhr glänzend schwarzes Haar war hoch LoupierL,
ihr Mund grellroL geschminkL, ihre Äugen waren groß und böse. Neben ihr
saß ein kleines Mädchcn miL blassen, schönen Zügen, eine riesige Schleife im
Haar. Geendet, setzLe der Tenor sich neben den Seinen nieder und schwieg
vor sich hin wie das FeLLgespenst; nun war er nichL mehr von Adel der
Leidenschaft, sondern nur noch ein ßille wükender kleiner Iunge, der mit
bösem GesichL ZigareLLen rauchte.

In der Ilkacht aus dcm Fenster blickend, sah ich rechter Hand ein wunderbares
Sternbild hoch über dem See: zehn oder zwölf Sterne von gleichmäßig
stillem LichL bildeLen eine schräge Linie, die miL sanfter Krümmung gegen
den Zenith anstieg und sich dort unter die funkelnden Myriaden mischte. Sehr
langc und freudig bewunderte ich das Phänomen und besann mich vergeblich
auf seinen Ilkamen oder seine Bekannkschaft aus früheren ZeiLen. Endlich
aber fand ich heraus, daß es die Gleislampen der Zahnradbahn anf dem
MonLe Generoso sein mußten. Abcr was bei Tage ein mäßig hoher 2lus-
flugsberg erschienen war, stieß jeHt mik dem SpitzenlichL an die ScheiLel
dcs Himmels.

In der Nacht weckte mich MarschLriLt und der Gescmg der Faschistenhymne.
Ich hörte den Ruf: a noi! a noü, und andere, die diesen ossenbar feind-
selig waren. Dann war noch das KlaLschcn vielfacher Ohrfeigen zu ver-
nehmen und ein Laufen und Trappeln, das sich rasch verlor, und ich dachte
noch, daß ich morgen mit dem Dampfer über den unbekannten See fahren
sollte, und schlief heiter wiedcr ein.

Englische Nachkriegsliteratur: D.H.Lawrence

Von Ernst Heilbrunn

ir wisscn nach wie vor wenig vom englischen Geistesleben; denken wir

an Frankreich, so scheint es uns eine Ncise fast zu den Ankipoden;
amerikanisches va ot viout der Literakur ist uns heutc jedenfalls bekannter
und innerlich verkrauter als englisches. Sie lebL noch in einer, auf geisti-
gcm Gebiet wohl nicht unbedingL splouclick, isolatiou, was um so erstaunlicher
erscheint, als das eigentümliche und außergewöhnliche UnLernehmen TauchniH
ja dauernd Gastvorstellungen des englischen Könnens in unserem Lande gibt.
Und dann isi England ja schon lange in einem Zustande zunehmender „Euro-
päisierung", wie es M. I. Bonn genannL hat (woraus Coudenhove, dervor
cinem IahrzehnL England auf seiner imaginären paneuropäischcn LandkarLe
einem eigenen Kulturkreis zuLeilte, heute bcreit ist, Folgerungen zu ziehen). Es
ist schwer zu sagen, ob das politische Leben oder das geistige hier einiges voraus
ist; die Ursachcn sind jedenfalls die gleichen, das Ergebnis abcr ist in der Lite-
ratur noch schlagender. Und wenn heute viel mehr aus dem Englischen .überseHL
wird als noch vor zehn Iahren und nicht mehr PensionsmüLLer und Gouvernan-
Len diese LiLeraLur studieren, sondern Intellektuelle, so bcdeuLet das nichk, daß
das neue Inkeresse für die englische literarische ProdukLion etwas zu Lun habe
miL der Welle von geistigem AuLomatismus, dcr über Europa (vor allem über
Deutschland!) ging; gerade hierin hat sich England am wenigsten verändert.

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