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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1930)
DOI Artikel:
Böhm, Hans: Walther von der Vogelweide: gestorben um 1230
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0173

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XXXXIII.

WalHer von der Vogelweide

Gesiorben um 12Z0

Von HansBöhm

^and und Aahr seiner Geburi wie seines Todes sind uns nnbekanni; kein
^CHronisi und keine Ilrkunde bezeugi den Dichker und Iournalisien, dessen
gelegentliche Gönner und Aufiraggeber drei deuische Kaiser und vicle mäch-
tige Reichsfürsien, von Köln bis Aquileja, gewesen sind, dessen Sprüchc ge-
suchte und gesürchteke Wasfen in politischem und persönlichem Kampfe waren,
dessen Lieder ihm nach dem llrteil seiner Zeit die ersie Skelle unter den da-
maligen Lyrikern gaben. Jn dem Schema der mittelalterlichen Geschichts-
schreibung war privates Leben, gar von Fmhrenden, nicht als der Mitteilung
würdig vorgesehen, und so sind wir hinsichtlich seines äußeren Lebens aus
die Bemerkungen und nicht immer deutlichen Anspielungen und Voraus-
setzungen in seinen Gedichten angewresen.

2lber isi das nicht in gewissem Betrachk ein Vorkeil? Der Dichker ver-
wandclt Stoss (des Lebens) in Form (der Dichtung): es war Goethe, der
über die Versuche spottete, diesen Weg zurückzugehn. Das innere Leben
Walthers jedenfalls sieht in seinen Hauptzügen fest; ja wir haben von keinem
mittelallerlichen Menschen unserer Geschichke eine deutlichere Vorsiellung
als von diesem vielleicht nicht siärksten, aber reichsien und — am reichhal-
tigsien überlieserten Lyriker der Stauferzeit. Wir besiHen von ihm ekwa
80 Lieder und 120 (einsirophige) Sprüche: von Reimar sind nur Zg Lieder,
von Morungen, dem heißesten und sieilsien Lyriker der Zeit, nur ZZ über-
liesert, bci beidcnLieder zudem im wesenllichen ei nes Stils, während Wal-
thers Gedichte verschiedene Stusen seiner künsilerischen Tätigkeit vertrekey.
Versuchen wir, hiernach den Gang seiner Entwicklung zu zeichnen; denn die
Gesiall wird am greisbarsien in der Bewegung.

Jm Laufe des 11. Zahrhunderts beginnt die Seele Europas zu reifen; dec
Vorgang vollzieht sich, wie immer, zunächst in religiösen Erschütterungen,
deren äußere, jedem bekannte, Wirkungen die kirchliche Reformbewegung und
die Kreuzzüge sind, während die innere Hallung sich am schönsien in der
Jesusliebe des hl. Bernhard ausdrückt: „8alvo, caput cruentatuiii!" Llber,
wie gleichfalls immer, verweltlicht sich diese geisiliche Liebe; die durch Askese
und Selbsierforschung gesleigerke Znnerlichkeit wendet sich von innen nach
außen, vom Schöpfer zum Geschöpf, und der Kleriker wird zum Liebes-
lehrer der vornehmen Damen wie zum derben Liebespraktiker der Dorfmäd-
chen. 2luf beiden Wegen folgt dem ersicn Stand der zweite, folgt dem Kaplan
und Vaganten dcr Rikter. Bezeichnenderweise bevorzugt auch er zunächsi
die geisiigere 2lrk. llnter dem Einfluß arabisch-persischer, lehtlich hellenisti-

Juniheft 1950 (XXXXIII, 9)
 
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