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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 8 (Maiheft 1930)
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Michel, Wilhelm: Piscator, "Das politische Theater"
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Böhm, Hans: Geschichte, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0152

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Sie sind nur wichtig alü Nachwcis, daß seine Praris noch mit allerlci Wcrten und
Jnstanzen rechnet, die seine Theorie ablehnt — und an denen unS Anderen gelegen
sein muß, weil ohne sie ein menschengestaltiges Europa, eine menschengestaltige enro-
päische Kunst nicht zu denken sind.

Jch wette, irgendwo in einem Winkel der Seele dieses kunstseinölichen Künstlers sitzt
sogar der verwogene Gedanke, man müsse seinem Bolschewismns zustimmen, weil
er gar so gutes Theater damit macht. Ein Salto mortale des Denkens, der an Kühn-
heit den Anselmischen Gottesbeweis weit übertrisst. Und ein Bertrauen aus die Kunst,
das alle Kunstvergötzung des Jmpressionismus in den Schatten stellt.

Die Sache liegt klar: Piscator hat die Notwendigkeit, Kunst an Jnhalt zu binden, richtig
erkannt, — aber seine Bestimmung dieses Jnhalts ist sreie Wahl seiner geistigen Enge,
seines fragmentarischen, spitznäsigen Wesens, seiner unerhörten Kurzsichtigkeit, seiner
vollkommenen Unsähigkeit, aus der Rebellion heraus imd zu umsassendereii, gou-
vernemcntalen Gedanken zu kommen. Die Zeit liebt im Augenblick diese einspnrigen, zu-
gespitzten Menschenprägungen. Sie stellt sie heraus, sie gibt ihnen die venia le^encii.Aber
sie muß sie nach getaner Arbeit sallen lassen und anderen, wciter durchgezcichncten Typen
das Wort erteilen. Piscator ließ im „Schwejk" den Umriß Gottvaters vor Schwejks
Anklagen zusammenschrnmpsen und schließlich verschwinden. Auch Schwejk hat ja
heutc die venis le^encli; und zu Zeiten „s ch o n e n die Himmlischen uns", wnßte
Höldcrlin, und lassen Titanen und Darietekomiker zu Worte kommen. Viclleicht
stellt sich lpiscator das ernsthaft so vor: der bucklige Thersites, der kleinc krähende
Nebbich wird endlich mit dem Herrn der Schöpsung sertig nnd steht allein auf
weiter Flur, ein „letzter Mensch". Wie ja auch Spiegelberg (gleichsalls mit Buckel)
in Piscators „Näubcrn" die Moorische Banöe nnd den ganzcn Schiller überlebt.
Aber vielleicht wird die Sachc Schwejk eonlrs Gott in dcr Wirklichkeit nicht ganz
so auSgehen, wic sich das Haßek und Piscator gedacht haben; und ebenso die Sache
Piscator oontrs Menschengcstalt nnd dic Sache der Salzsänre gegen das organische
Leben....

Nein; das, was Piscator sür scine Knnst als „Jnhalt" hervorgesucht hat, ist im
Wesen nur Jnhalts-Ersatz, Jnhalts-Vorspiegelung — gleich jener Sortc Weltwirk-
lichkeit, die eine Zeitlang von der Ncuen Sachlichkeit in der Malerei vorgetragen
wurde, Produkt von Angst und Panik, ein zähneknirschendes Jnventarisiercn ohne
eine Spur wahren, sreien Realitäts-Erlebens. Den Schritt über programmatisch rich-
n'ge Grundsätze hinaus zu einer positiven Darstellung und Deutung neuer Menschen-
gestalt hat Piscator höchstens angedentet, nicht vollzogen. Und er hat selbst diese
Andeutung so schr mit eincm einseitigen Meinen und Wollen belastet, daß es schwer
halten wird, etwas Wesenrliches von seinen Ergebnissen i'n die abendländische Schau-
bühne herüberzunehmen. Er trägt überall die Züge einer echten historischen Figur.
2lber sind es die Züge eines Helden? — Mi'r scheint, mehr die eines Opfers.

Wilhelm Michel

Geschichte. I!

Ouellcnivcrke*-'

^^as Verlangen des Publikums nach Geschichtsguellen, wic es sich seit dem ersten
^^Jahrzehnt dieses Jahrhunderts geltend macht, ist keine selbstverständliche und
unbedenkliche Erscheinung. Es bedürste eineS größeren Raumes, um das auSzuführen;
hier müssen eiiüge Worte genügen. Kenntnis und Kunde der „Quellen" ist eine Sache
des Geschichtsforschers, der sie in entsagender Kleinarbeik, ost ein wahrer „Rnten-
I. ogl. Nooemberhcsi Ig2g.

" Capclle, OaS altc Germanicn (Oiederichs). — Timcrding, Christlichc Frühzcit Dculsch-
lands (Oiedcrichs). — Johannce Bühlcr, Oeutsche Dcrgangcnheit: Oic Germanen der

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