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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1930)
DOI Artikel:
Hochgesang, Michael: Die Neuschöpfung der Welt durch Knut Hamsun
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Unterwühlung und neue Gestalt
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0435

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fälkige, kindrsche und dämonische, in das körichke und doch so herrliche, rausch-,
schmerz- und glückdurchkränkke irdische Geschehen. Diese launische und über-
legene Verflechkung der menschlichen Schicksalsfäden in Hamsnns Werken ist
schöpferische Einfalk und künsklerische Meisterschast, es ist die letzte und größte
Tak von Hamsuns Kunst.

Anmerkung: Die Wcrkc HamsunS sind deutsch im Verlag A. La n g en, München, erschienen.
Ein neuer Roman deS Oichrcrs mit dem Titel „August Wcltumsegler" wird Mikte Oktober
ausgegcbcn.

Unkerwühlung und neue Gestalk

Bon Wilhelm Michel

suf Bergwerksboden stürzen Häuser plötzlich ein, in den Skraßen bilden
'^^sich Trichker und schlingen Gelände, gelegenklich auch einen Menschen
mit hrnunker.

Ich will von ekwas Ähnlichem sprechen, vom Schicksal eines Dorfes, das
zugleich das Schicksal von kausend anderen rst. Jn diesem Schicksal ist nichks
Ungewöhnliches. Man kann es so vollkommen erklären, daß es zur platkeu
Selbstverständlichkeit wird. Warum soll doch davon geredek werden? Es
ist vielleichk nur dies, daß uns manchmal Dinge, auch wenn sie erklärlich und
selbstverständlich sind, plötzlich nahegehen. Und das sprichk man dann aus.
Lange Iahrzehnte hindurch komme rch alljährlich in das kleine Dorf, das
mir einst Heimak war — das mir noch Heimak ist, weil die lMänner, die
krummgeschaffk neben dem müden Gaul auf der Landstraße daherkommen,
einst mit mir auf der Schulbank gesessen haben, weil Mukter und Vaker
drübcn auf dem Dorffriedhof liegen, weil die Haselbüsche und die Apfel-
bäume noch am Hang stehen, in denen ich als Kind herumgeklettert bin.

Bei jedem Besuch war es das Wunderbare, daß die Zeik hier im kleinen
Dors in so langmükiger Dünung ging. Ern alker Mann war gestorben seit
vorigem Iahr, ein Haus war gebauk worden, der und jener von den Iungen
hakke geheiratek — das waren die Beränderungen.

Die Zeik selbst, diese stürmische, eilferkige Gegenwark — hier im Dorf nahm
sie sich Zeik. Das Bleibende stand immer vor Augen. Feste Zustände, sichere,
einfache Bahnen des Erwerbs, langsames Weiterkommen für den Einzel-
nen, doch Raum für jedcn, der anpacken und ekwas vor sich bringen wollte.
Das Dorf zwischen den zwei Waldwänden, den zwei Burgruinen, im engen
Tal, in dem kaum der Bach, die Eisenbahngeleise, die Landstraße nebeneinan-
der Platz hakken — das war eine feste, geschlossene Welk. Die Menschen
fühlten sich so inö Dorf gehörig, daß sie ihre Einkäufe im Skädkchen durch
eine Botenfrau besorgen ließen. Und das Skädkchen lag genau 26 ELsenbahn-
minuken vom Dorf enkfernk. Zwei Skeinbrüche waren da, in die die jungen
Burschen schaffen gingen; dazu einige Sägebekriebe, ein paar kleine Brenn-
holzhändler, eine Miniakur-Brauerei, weiker hinaus drei, vier kleine Tuch-
fabriken. Das — und die Forstarbeiken im Wald, die winzigen Karkoffel-
äcker am Hang, die wie Weinberge mik Mauern gestützk waren, einige Wie-
sen und kümmerliche Gärkchen — das reichke aus, um das Leben im Tal zu
erhalken. Ich will es nicht idyllisch malen. Es war hart genug. Aber es
war ein eigenes, auf diesen Boden gestellkes Dasein — ziemlich genau so,

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