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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 7 (Aprilheft 1930)
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Herrigel, Hermann: Wozu diskutieren wir?: Bemerkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0082

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unö rubinhaftes Leuchten im linken Felsengezack, lichtgelber Manlel des Johannes
uber Karmingewand, bräunlich sahler Manlel Marias über dunkelblauem Unler-
kleid, violelles Kopftuch der Magdalena und burgunderroler Rock; mild und still
leuchlel der perlgraue Leib des Herrn wie ein Opal. Auch das Lineament ist
voller Jntensitäl und innerlichster Ergrissenheil, ja dramalischer Bewegung: das
tropssteinarlige Gebilde des Gesteins scheinl aus Maria überzuspringen, das slutende
Gewoge im Gewand des JohanneS, die schraubenhafle Verdrehung im Körper
Christi, seine spinnenhaften Finger, das Hartspitzige der Dornenkrone, daS ver-
schlissene Schamtuch, das gekrümmte Geschlinge in den Händen Mariä und des
Johannes, die Kurve im Kreuzbalken. Über all das lriumphierl die Größe der
Menschcnsormen und das Pathos ihrer mächligen Gesühle: jede Figur ist zur
stärkeren Wirkung weilgehend isolierl und fügl sich doch zu einer geschlossenen
Gesamlgruppe. Wie mächtiger Orgelklang erhebt sich das hohe Lied des Leides
und Mitleides. Daö Golgathadrama ist hier in eine heroische Almosphäre erhoben,
obwohl der Herr ganz erlegen. I. Pp.

Wozu diskukieren wir?

Bemerkung

I vin Leilarlikel der Franksurler Zeilung begann kürzlich mit den Sätzen: „Die
^—'große dreilägige Reichsdeballe über den Poungplan ist, so scheint eü, nach innen,
nämlich sür den Reichslag selbst, ziemlich ohne Ergebnis geblieben. Es hat keiner
den andern überzeugl, und am Schlusse wird jeder so abstimmen, wie die Fraktionen
und Fraktiönchen es tatsächlich schon vor der Deballe beschlossen und sestgelegt
hallen. Wozu also die ganze Rederei? So sragen heule viele, und wirklich trissl
diese Frage ein ganz ernsteü Problem des Parlamentarismus. Denn waS hilfl das
Argumentieren, wenn aus den Argumenten nicht mehr die Entscheidung erwächst;
was sür einen Zweck hal die Diskussion, wenn in Wirklichkeit jeder nur Monologe
sprichl?" Es heißl dann weiter, daß die Deballe, wenn sie auch für den Reichslag
selber ergebnisloü war, es nach außen für die Ossenllichkeit nicht gewesen sei. Der
Reichslag sei die Tribüne, von der auS dem Volk die verschiedenen Aussassungen in
ihrer Gegensätzlichkeit deullich wcrden.

Es soll indessen hier nicht vom ParlamenlarismuS die Nede sein, sondern ich möchte
die Frage, die in diesen Sätzen gestelll wird, in eineni allgemeineren Zusammenhang
aufnehmen. Warum diskutiercn wir? Es gilt ja nichl bloß sür die parlamenlarische,
sondern auch für jede andere Debatte, daß wir heule im Grunde nur Monologe
sprechen und daß der eine Gegner dcn anderen nichk überzeugen kann. Das ist wohl
micht immer so gewesen, wenn auch die Hebelsche Gejchichte, in der der Lutheraner
und der Kätholik sich durch Disputieren gegenseilig zu ihrem Glauben bekehren, nur
eine Anekdole ist. Die Scholastik hat bekanntlich im 12. und ig. Jahrhundert eiue
eigcne Disputationsmethode auSgebildet, die in der Darstellungsweise der lheologii
fthen Summen und Ouästionen aus unS gekommen ist, um im Widersweit der
Argumente pro und contrs die Wahrheit bestimmter Thesen zu beweisen. Man dars
nicht glauben, daß diese Thesen immer schon von vornherein festgestanden hätten
und daß es sich bei diesen Dispulalionen nur um rhelorische llbungen handelle.
Diese Dispulationsmethode ist in Wahrheil eine Argumenlationsmelhode, und mit
denselben Gründen, die in den Übungsdispulationen gelernt und angewandl wurden,
wurden auch die Konlroversen zwischen den verschiedenen theologischen Schulen
enlschieden. Die Scholastik verfügte über beweiskräftige Gründe, die man er-
lernen und mil denen man einen Gegner widerlegen konnle. Dle Dispulationen
leblen weiter in den Religionsgesprächen des 16. Jahrhunderts zwischen Luther und
seincn Gegnern, und wenn hier auch die angesührten Argumenle schon andere ge-

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