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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 11 (Augustheft 1930)
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Heilbrunn, Ernst: Virginia Woolfs neue Romane: englische Nachkriegsliteratur, [2]
DOI Artikel:
Brock, Erich: Kritische Forderungen des Tages an Thomas Mann
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0372

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wie bei ChesterLon, Shaw oder Barrie, kein Koketkieren um Beifall. Mr-
ginia Woolf prangert mik großcr Neigimg englische b6antikulno88, kraulr-
N688 und can6i6ns88 an; wie der Feftländer findek sie sie häufig tölpelhaft
und banal. Den Glanz des Dämonischen stellt sie ihnen entgegen: da ist
nur die Oberfläche glänzend, drinnen aber eine wandernde Flamme. Fast
enkgleisend grob und ungeformt, das PamphleListische ftreifend, kann sie
werden. So: „Die Krankheit des Genialseins ist jeht auf den brikischen Inseln
erloschcn." „Der verewigke Lord Tennysson ist, sagt man, der letzte gewesen,
der daran gelitten hat." Und als der Lohndiener mik förmlich respektgebieten-
der Stimme als Clou der Zeremonien des Abends in Clarisfas Salon dcn
Premierminister ankündet, da poltert die Woolf los: „Über ihn lachen konnte
man nichk, so alltäglich sah er aus. Man häkte ihn hinter den Ladcntisch
stellen können, den armen Mann, undZwieback bei ihm kaufen." Der arme
Mr. Baldwin! Denn er muß es wohl sein.

Es ist nichk verwunderlich, daß Mrginia Woolf, die grandiose Fabuliererin,
die sprichwörtliche Langweile englischen Gesprächs besonders in Harm'sch brin-
gen muß. Die jungen Leute von heute wissen nichts, außer bildschöne Hunde-
schnauzen streicheln, Crickektspielen und sich in Nuderregatken erschöpfen.
„Aber mit den gewaltigen Schätzen der englischen Sprache, die schließlich (!)
auch zur Mitteilung von Gefühlen recht gut zu gebrauchen sind (ckou't 8t»ovv
ksolings!), wußtcn sie nichts anzufangen." „So ist cs (und damit berührt sie
im Eigentlichen die össentliche Äuszehrung der Sprache in unserer Epoche)
die HaupLkunst des Gesprächs in einer Zeik, in der Worte sich im Mrgleich
mit Gedanken und Vorstellungen täglich als so unzulänglich crweisen, daß
man sagen muß: »Der Schissszwieback geht zu Ende«, wenn man schildern
möchte, wie man eine Negerin im Dunkeln geküßt hat... lknd daraus kann
man schließen (fügk sie in Klammern hinzu), daß nur der zu vollkommener
Meisterschaft gelangte Beherrscher des Stils die Wahrheit aussagen kann;
findet man aber einmal einen kunstlosen Schriftsteller, der mit wcnigen Wor-
ten auskommt, so darf man ohne den Schatten eines Zweifels folgern, daß
der arme Mann lügk." Die Skelettierung der Sprache zu Zeichen und Be-
griss macht ihre Neugeburt aus dem Geist der Magie nötig. Birginia Wools
lügt nicht.

KriLische Forderungen des Tages an Thomas Mann

^^as Wort „Forderung des Tages", unsereö Wissens von Goethe stammend, ist
ursprünglich, vor seiner Derflachung in der Zeitungssprache, der Auü-
druck einer Weltanschauung, nämlich der, welche Voltaire negativer und platter
mit dem Fmperativ „plsntor son obou" bezeichnet hat, Goethe aber in seinem
Alter als das wirkliche und volle Ausgehen deS LebenS in den täglich und unmittelbar
auserlcgteu Verrichtungen meinte. Daß ThomaS Mann nun diese Formel seinem
neuesten Aufsatz-Sammelbande* als Titel gibt, soll wohl in gewisser Weise die
Anreihung der kleinen und kleinsten Anlässe darin jener immerhin in ihrem Gedanken
großen Weltanschauung unterstellen. Allein, wenn schon Goethe uns Heutigen in der
Ausfüllung jenes Schemaö den großen Antrieb doch stellenweise an die Einzelheiten
als solchc zu verlieren scheint, so daß wir mit leiser Enttäuschung daran gemahnt
werden, mit welcher Unbedingtheit er in seiner Jugend der höchsten, ganz von innen
„Oie Forderung des Tages", S. Fischer Derlag, Berlin.

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