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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1930)
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Heiseler, Henry von: Erlebtes aus Sowjetrußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0041

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Erlebtes aus Sowjcrrus;Iai!d

O^er rote Tcrror. Massenmorde sind immer wieder vorgekommen,
'^-^frcilich sctzte die erste große Mordwellc iin Herbst 1918 ern nach dcn
geglückten Attcntaten auf Urizki und Wolodarski und dem mißglückten auf
llenin. Eine kleinerc Mordwelle war ihr vorangegangen, nach dem Aufstand
von Iarosslawl. Ähnliche Gelegenheiten hat es später oft wieder gegeben, z. B.
nach dem Aufstand von Kronstadt. Immer haben die Roten die Schuld den
Weißen zugcschoben, auch bei Gelegenheik der Ermordung der fünf Großfürsten.
Außerdem „erfand" die Tscheka Aufständc, wenn es ihr aus politischen Grün-
den paßte. Das hatte sie von dcr zaristischen III. Abteilung gclernk, aber ihrc
Lehrmcisterin weit übertrosten. Einzelmorde warcn an der Tagesordnung, sie
wurden meistcns heimlich ausgcführt und der einzelne Bürger gewohnte sich im
Lauf der Iahre so sehr an den Gedanken der Todesmöglichkeit, daß er diesen
Zustand des Gefährdetseins für ziemlich selbstverständlich hielt.

Der wciße Terror. An die Greucl der „Weißen" habe ich lange nicht
geglaubt. Leider habe ich umlernen müsscn. Als die siegreiche rote Wiatka-
Division in die croberte Stadt Wotkinsk einzog, wurde nach den Rotarmisten
gesucht, dic in die Hände der Weißen gefallen waren. Eö waren ekwa fünfzig
Mann. Sie befanden sich auf einer Barke und warcn sämtlich hingcmordet
worden vor dem Abzug dcr Weißen. Die Leichen scchen fürchterlich aus. Jch
will nur die Leiche cines Rotarmisten beschreiben. Sie lag in Kreuzform auf
dem Rücken ausgestrcckt, Hände und Füßc von Bajonetten durchstochen und
war ostenbar so auf dem Boden festgehalten gewesen. Auf dem hölzernen
Fußboden fandcn sich die cntsprechenden Löcher. Die Augcn ausgestochen,
der Körper von Bajoncttstichen durchlöchert, die Brust durch Kolbenschläge
in einen blutigen Brei verwandelt.

In Archangelsk haben die Engländcr ekwa vierzig gefangene Kommunisten
und Rotarmisten füsiliert.

Am widerwärtigsten haben die Polen gewütet. Ich nenne nur drei von den
Fällen, die ich aus eigener Erfahrung bezeugen kann. In Lida ist ein alttr
russischer Geistlicher (also kcin Kommunist) auf offener Skraßc von polnischen
Ostizieren und Soldaten durch Haar- und Bartausreißen, Stöße, Prügel
nnd Skeinwürfe hingemordet worden. Ein junger Kommmnst, der in polnische
Gefangenschaft gcriet, wurde auf das Feld geführk, man gab ihm cine
Schaufel in dic Hand, cr mußte eine Grube graben, wurdc hinciugestoßen nnd
daim die Grubc über ihm zugeschaufelt. Ein junges Mädchen, das zum
Dienst bei der Tscheka gepreßt wordcn war, fiel dcn Polen in die Hände mid
wurde von diesen edlen Lenten zur Zwangsprostituierung verurteilt — die Be-
stimmung laukete: „fünfundzwanzig Männcr täglich". Das Mädchen erlitt
mehrere Schlaganfälle, war schließlich Leilweise gelähmk und nur darum ge-
lang es ihren Angehörigen schließlich fie zur Kur in eiu Bad uach Ungarn
zu schicken. Wcnn es je wieder einen Krieg zwischen Russen und Polen gibt
— und natürlich wird das der Fall sein —, dann würdcn alle Greuel, welche
die Russen etlva an den Polen, diesen Freunden und Bundesgenossen der
Franzosen, begehen mögen, leider nnr zu verständlich seiu. Freilich gibt es
keinen Russen, der cincr so echt polnischen Gemeinhci'L mid Niedertracht fähig

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