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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1930)
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Heiseler, Henry von: Erlebtes aus Sowjetrußland
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0042

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wäre. 2luch das iiledrigste und fürchterlichste Uutier der Gegenwart — Felw
Dsershinski, das Haupk der russischcu Tscheka — ist keiu Russe, sondern ein
Pole.

Grüner Terror. Das gibt cs auch. Die „Grüneu" sind Bauern und
Deserteure, die iu dic Wälder eutlaufcu siud, Bandcn bildeten und sowohl
Weißen als Noten alleu nur erdenklichen Schadeu taten. Sie waren ganz
ungreifbar, denn sobald Truppcn nach ihncn ausgesendet wurden, versteckten
sie ihre Gcwehre etwa in hohlen Bäumen, griffen ;um Pslng und waren
eben harmlose Bauern. Bei Danilow — zwischen Wolodga und Iaross-
lawl — geriet ein Trupp roter Soldatcn in grüne Gcsangenschast. Ein alker
Daner bei dcn Grünen erkannte in eineni der roten Soldaten seinen eigenen
Sohn. Da ließ der alte Grüne den jungen Roten lebcndig begraben.

Die P o kj o m k i n s ch c n Dörscr S o w j e k r n ß l a n d s. Der ganze
Sowjetstaat ist ein P. D. (Potjomkinsches Dorf). Der russische Kommunis-
mus ist auch ein P. D. Und es gibt viel kleinere P. D's. Man muß guten
Eindruck machen aus bckannte nnd berühmte Ausländer, welche Sowjetruß-
land besuchen — aus die Herren Hendcrson, Thomas, Wells, Shaw, Sven
Hedin und andere. Für dicscn Zweck hat dic Sowjetregicrung Muskeranskal-
ten eingerichtet, dic tatsächlich so muskcrhaft sind, daß sie jedem Kulturskaat
zur höchstcn Zierde gereichen könnteii. Irgend so ein ausländischer Berichkerstat-
ter kommt nach Moskau und wird sofort von gesälligen Frcmdensührern um-
ringt, die ihm ein Auto zur Vcrfügung skellcn und ihm die Muskeranskalten
vorführen. Die Fabrik isk lu, prachtvolle 2lrbeitsleiskung, prima Maschinen,
wohlgelüftetc Räume, cnkzückcndc 2lrbeikerwohnungen, ein kleines Arbeits-
paradies auf Erden. Schule und Universität — gleichfalls I» nach dem glei-
chen Schema. Theater, Museum, Konzertsaal, Reskaurant... gediegene
Kunst, gediegener und doch volksfrenndlicher Luxus. Der Bekressende klagt
zwar ein wenig über die allzn große Znvorkommenheit — es isk läskig, daß
man nie allcin gelassen wird —, aber enkzückt ist er doch und schrcibt wohl-
wollende Artikel über die gesnnden Zustände Sowjckrußlands. Daß aber in
den übrigen Fabrikcn entweder gar nichk oder unker den kläglichsken Lebens-
und Arbeitsbedingungen gearbeitet wird — davon erfährk der Gast nichks.
Daß in den übrigen Schulen 15jährige Iungcn als Zuhältcr dcr Mädchcn
fungieren, daß sie Passanken auf dcr Skraße kleine Mädchen zusühren nnd
den Gewinn mit lehkeren Leilen — das bckommt der Gask nicht zu sehen.
Daß es seit dem Sieg dcs Bolscheivismus in Rußland Krankcnhäuser für
venerische Kinder gibt — dcr Gast weiß das nicht. Zu einer mir bekannten
Ärzkin wurde eines Tages ein fünfjähriges Mädchen gebracht, das ein zwöls-
jähriger Iunge syphilikisch angeskeckt hattc. Weiß der Gask davon? Weiß
der Gast, daß der Inhalt seiner Kosfcr und Reisekaschen bis zum lehten
PapierschniHelchen in den Händen und vor den Augen der Tscheka gewesen ist?
Daß ein jeder seincr Schritte von2lngestellten der Tschcka belauert worden isk?
Daß sein Hotelwirt, sein Zimmerkellner, scin Schuhputzcr, sein Portier und sein
Chausfeur Angeskellte dcr Tscheka sind? Daß es in seinem Hotelzimmer
Vorrichtnngen gibk, die es der Tscheka ermöglichen alle Verrichtungen und
Gesprächc des Gaskes zu beobachten und zu bclauschen? Das alles ist kein

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