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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1930)
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Heilbrunn, Ernst: Virginia Woolfs neue Romane: englische Nachkriegsliteratur, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0364

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Virgima Woolfs neue Romane

Englische NachkriegSliteratur II

Von Ernst Herlbrunn

fi^nglische NachkriegsliLeratur: ProLest, RevolLe gegen das heilige RiLuell
^-^der LradiLionellen englischen Lebensform (und Kunstform) ist, sagten wir,
ihr Zeichen. Hingabe an die vielfältigsten europäischen Laugen ihr MitLel.
Ilnd LroHdem: Englisches, ureigenst Englisches ist nichk ausgetilgt, darf es
auch füglich nicht fein. Dies Spannungsverhältnis ist nichk der kleinste Reiz
der neuen englischen Literatur. 2lber es wäre auch wieder verfehlk, von nicht
mehr als kontinentalen Beeinflussungen zu reden, als ob die englische Sub-
stanz heil geblieben sei. 2luch für den englischen Geist ist der Kalender über
igi8 vorgerückk, auch diese Front konnke nicht gehalten werden, und wir sind
noch miLLen in einer Umgruppierung und Reorganisation ihrer KräfLe.
Glaubten wir, das ungetilgte Teil EngländerLum bei Lawrence in dem zu
fehen, was wir das Wikingerhafke, FreibeuLerische heißen möchten, so fällt
uns an Mrginia Woolf, der Frau, das süß und verschwebend Schleierhafte
auf, das betörend duftige Gespinst, mit dem sie die Dinge umkleidet oder die
vielmehr ihr englischer Leib sind. Taine hak gesagt, die Formen der englischen
LandschafL seien wie auf Löschpapier gezeichnet. Virginia Woolf drückk das
so aus: „...als wäre all die Fruchtbarkeit und verliebte BetriebsamkeiL des
Sommers spinnwebartig um seinen Körper gewoben." Es ist unverkennbar,
daß der Geist der englischen Nomantik hier am Werk ist: Wordworth und
Keats und der Schotte RoberL Burns spinnen an ihrem Faden fork. Die
RomanLik ist für das englische Gemüt keine geringere MachL — und Ge-
fahr — wie für das deutsche. Und wie in DeuLschland Goethe und Hölderlin,
so haben inEngland klassisch-strengeGeistcr wieNossekti undSwinburne den
romantischen Faden in ihren dichterischen Teppich hineingeschossen. Jn Versen
wie diesen, die wir NosseLLi verdanken, schlägt das Herz Englands:

8s^, is it cks^, is it äusli in tli^ bover,

1'bou >vbom I lonA Lor, >vbo lon^est Lor ine?

Ob! be it ligbt, I>e it ni^bt, 'tis Oove's Iiour,

Oove's tkat is kettsreck ss Oove's tbst is Lree.

Französische Romantiker wie Mctor Hugo oder Delacroix — uns ist seine
Faust-Zllustrakion so unbegreiflich wie dem Engländer die HamleLs — kennen
dagegen nur eine piLLoreske MotivromanLik, jene Entartung der Nomantik ins
Stoffliche, die wir aus Freiligrath und llhland kennen und die dem heutigen
vulgären Begriff von Nomankik entspricht. Hier äußert sich keine ur-
sprünglich romankische 2lrtung der Seele wie beim Engländer, dem die
Romantik heimliches Herzstück ist, und wir argwöhnen, daß ein unerkannter
wesentlicher Grund der ewigen deutschen 2lnglomanie die Enkschiedenheit
ist, miL der England einer Gesahr entgegentrak und sie überwand, die uns
Deuksche nach wie vor bedroht.

Das Leben zweier im Grunde verwandter Rkaturen hat uns Mrginia Woolf
neuerdings geschilderk.* Das Clarissa Dalloways, PoliLikersgattin und ver-
zücktes Mitglied der Londoner sociot^, beobachten wir während eines einzigen

' Oeutschi „Ei»e Frau von 2o Jal,ren" und „Orlando", beide ini Znsel-Derlag,
 
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