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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 11 (Augustheft 1930)
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Zu unserm Titelbild

Honocö Oaunner: „Boulencird de la Scine".
ir haben von dcrn czroßen französi-
schen Zeichner, der derWellgeschichte
derKnnst angehörs anläßlich der prachtvol-
len Publikation des Verlags A. Langen, an
die toir bei dieserGelegenheit empfehlcnd
erinnern, schon Beispiele malerischer Ge-
staltungökraft gebracht. DerGrnnd dafür,
daß wir gerade jetzt das Werk eines Fran-
zosen bieten, ist die Größe dieses Stils,
der in großer Ansfassung wurzelt. Das
Große wie die Großen gehören allen,
allerorts und allerzeit. Jn einer Zeit der
Enge und geistigen Beschränktheit, wie es
unsere Gegenwart ist, braucht man sie vor
allem. Nebenbei ist es interessant, wie
erst vollgereifte Darstellungskraft — hier
der Übergang von der plastischen zn breit
malerischer Art — fähig wird zu letzter
Bergeistigung und dann selbst eine Stra-
ßenszene zur Visi'on zu erheben vermag.
Schon das Hell und Dunkel ,'st hier ein
dramatisches Schanspiel gegeneinander
wogender, sich durchdringender, ringendcr
Mächte. Das Emzelne dient nur der Ver-
deutlichung, Verstärkung und Vertiefung
dieseS Themas. Der Dunst verwebt die
brüchigen Häuser zu einem mauerhaften
Gebilde, in dem es drängt und schiebt
und ausflammt, das den Horizont ver-
riegelt wi'e ein plötzlich erstandenes Hin-
dernis, vor dem die Figuren gebannt,
betrosfen Halt machen. Dasselbe Licht,
das von rückwärts Roß und Reiter wie
mit Blitzeshelle streift, auf dem Rücken
der Frau aufklatscht und fahrig am Bo-
den züngelt, macht das HauS davor er-
blassen, errichter eine Barricre zwischen
Hinter- und Vordergrund. Zwei Welten
stehen sich gegenüber. Seltsam das auf-
gestafselte Nebeneinander von Hund,
Frau, Roß mit Reiter; jedes hat seine
Zone, keines weiß um das Andere, es
bindet sie nur gemeinsames Erleben, das
sich verschieden spicgelt. — Wandern wir
nicht täglich so nebeneinander, aneinander
vorüber, einem Ziel zu, das uns lockt
und erschreckt zugleich? Ein Stück Dä-
monie des Lebens steckt in dem Bild, sym-
bolhaft redet eö zu uns, geheimnisvoll
umraunt es uns die Sinne und Seele. —
Wieviel Musi'k ist in dem Bild und da-
mit wieviel Unaussprechlicheü! I-Pp-

Eine Frage an die Mialer

ie sommerlichen Kunsiauöstellungen
zeigen es wieder deutlich: es gibt heute
einen generellen Kunstzweifel, der unsere
Skellung zu allem Gemalten und Model-
lierten beeinflußt. Früher ging eS beim
Durchwandern einer künstlerischen Mas-
sendarbietung um die Frage: gut oder
schlecht, zeitgemäß oder unzeitgemäß?
Heute wandert eine sonderbare, vage Un-
lust mit uns, die eine viel allgemeinere
Frage auf dcm Herzen hat:wie steht eö
denn mit der Lebensbindung dieser Kunst?
Wo liegt der Zwang, aus dem sie her-
vorgeht? Wo und wic greift sie faktisch
inS heutige Leben ein, wo und wie packt
sie den Menschen von heute an, um ihm
wohl oder wehe zu tun, um ihm eine
Wirklichkei't zu fein?

Diese Fragen wollen nicht verstummen.
Man fühlt öeutlich: die Maler müßten
die Frage, w e s h a l b sie überhaupt spre-
chen und darstellen, neu an fich richten
lernen. Jn der Umgangssprache sind wir
längst übereingekommen, nie von dem zu
reden, was uns wirklich interessiert. Auch
unsere Kunst ist Umgangssprache dieser
Art geworden: unpersönlich, auch wenn
sie sehr persönlich auösieht, gespenstisch
und phrasenhaft, auch wenn sie sich höchst
realistisch und bestimmt gibt.

Rührt man diefen 'Gegenstand an, so
darf man sich nicht einbilden, von einer
begrenzten Sache zu sprechen. Man
spricht von der ganzen Kulturkrise. Man
fpricht davon, daß dcr Kunst die Einge-
fügtheit in das wirkliche Leben und da-
mit die Realbedeutung verloren gegangen
ist. Von der Seite des Publikums sieht
das so aus, daß es sich lieber an den
wirklichen Apfel hält statt an das Apfel-
stilleben, an die wirkliche Reise, siatt ans
Reisebild, an das Sonnenbad oder die
Paddeltour, statt an gedeutete, betrachtete,
reflektierte Landschaft. Wirklichkeitshun-
ger also, dessen tieferer Grund nicht den
Künstlern zur Last fällt, sondern in einem
Schwachwerden wichti'ger geistiger LebenS-
verbände liegt. Die Kirche kounte im Mit-
telalter der Kunst einen gesicherten Drt
inncrhalb des Lebens anbieten, die Höfe,
dieGesellschaft konnten sie halten, und noch
im 19. Jahrhundert konnte sie sich kräftig
nähren von dem monistifch-naturalisti-

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