Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1930)
DOI Artikel:
Kollmann, Franz: Kunst und Natur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0389

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
soll dieü nun nicht etwa heißen, man müsse Häuser wie Muscheln bauen und statt
Tapeten mit Blumenmustern solche mit Schmetterlings;eichnung aufspannen. Anderes
lehrt die Natur; sie gibt uns nicht das Dorbild, sondern das Urbild. Nicht von
Abstammnng dürfen wir reden, sondern von Verwandtschaft. Urformen der Kunst
finden wir in der Natur, Urformen, die unS deutlich genug die vollkommene Ehe
von Zweck und Schmuck vor Augen führen. Kropp warf, wie schon gesagt, Streist
lichter in das Tierreich, DeliuS zeigte im Geiste die immer wiederkehrenden dr.i
Stufen: kristallinische Herbheit, AuSgeglichenheit zur Anmut, d. h. voll gereifte
Blüte und zulekt das Wuchern deS Ornaments, di« bunte spielerische, vom Zentrum
gelöste Fülle. Er benennt Pflanzen als Beispiele: Schilf — Lilie — Orchidee, und
er mag eS — wie Goethe in der „Metamorphose der Pflanzen" — bedauert haben,
daß sein Dersuch „ohne Beziehung auf erläuternde Kupfer" gebracht wurde.

Aber nun besihen wir diese Kupfer; Karl Bloßfeld hat sie mit dem Auge des
Künstlers der Natur abgesehen und mit den Mitteln neuzeitlicher Technik festge-
halten („Urformen der Kunst", Derlag Wasmuth). Schachtelhalme, mehrfach ver-
größert, zeigen erstaunliche Architektur, wecken die Erinnerung an Bauten deü ^slam,
in denen das Wesen deS Ornaments merkwürdig tief erfaßt ist. Sprosse von
Manna-Esche und Kornelle, von Forsitie und Ahorn entpuppen sich als jene ge-
heimnisvollen Formen, die gestaltet oder symbolisch, greifbar oder lesbar oder nur
ahnbar im Menschenleben wirken, die als Korper oder Buchstabe oder mystchhes
Zeichen bestehen: Schwert s und l' und Kreuz ch, Leuchter und ch' und Drei-
zack V seien zum Beispiel genannt. Kugel und Spiralflache, d. h. Geschlosjenheit
und Offenheit der Form, Gebundenheit der Geometrie und Gelöstheit der Phantasie,
strenge Regelmäßigkeit und ausschweifende Freiheik fiuden wir plötzlich in der Natur.
Kürbisranken werden unter der Lupe auü Schmiedeeisen, d.e gerollten ,ungen Blatter
von Farnen bedeuten Bischofsstäbe. Glaube und Aberglaube, Gott und Gespenster,
Keuschheit und Wollust verkörpern sich m ein paar Pflanzen EuropaS. Wenn wir
Dürers Teufel seinem Ritter folgen sehen, Grünewalds Schemen St. Antonium
versuchen, wenn menschliche Dorstellung s.'ch die apokalyptischen Reiter auümalt —
alles Groteske, Unheimliche hat die Natur schon geschaffen. Seepferdchen entpuppen
sich als Vampyre, Jnsekten werden unter dem Mikroskop zu grauenhaften Fabel-
wesen Tausend Derlockungen des Fleisches — Albrecht Schaeffers Schilderung der
Hölle in. „Parzival" fällt mir ein — sprechen auS Sockenblume, Bei'nwurz, Seiden-
pflanze rührend zarte, demutvolle Unberührtheit in jungem Sproß von Osterluzei und
Eisenhut Hier sogar Dynamik, die sonst nur den Körpern von Mädchen gegeben.

, Alle qestaltete Form hat ihr Urbild in der Welt der Pflanzen." Nierendorfs Emlei-
tunqüworte scheinen ohne die Bilder von Bloßfeld zu weit gespannt. Aber hat man sie
gesehen so werden die Zweifel verstummen und ersticken. Wem eö je um Erkenntniü
der Form ernst war, den muß daü Geschaute erregen. Diele Fragen öffnen sich. Die
drinqendsten: Haben wir etwaS verloren, was andern Zeiten und Dölkern zu eigen
war? Kann man das Urbild erstreben, ohne das Vorbild nachzuahmen? Wenn die
Derwandtschaft der Formm und i'hre Entwicklung klar liegt, gibt es einen einheit-
lichen Geist, eine gemeinsame Seele, die allem Schönen innewohnt? Bedarf es be-
sonderer Kenntnisse der Natur, um ewige Formen der Kunst, E.nhe.t der Gestalt
und des OrnamentS zu schaffen? Wir wissen wenig, aber wir ahnen viel. Wir
ahnen es in jcner weihevollen Stimmung, an deren Möglichke.t w.r sonst nicht mehr
recht glauben. Endlich begrcifen wir Goethe auch hier ganz.

„Natur und Kunst, sie stheinen sich zu fliehn

Und haben sich, eh' man es denkt, gefunden;

Der Widerwille ist auch mir verschwunden,

Und beide scheinen gleich mich anzuziehn.

Franz Kollmann
 
Annotationen