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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI issue:
Heft 11 (Augustheft 1930)
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Kollmann, Franz: Kunst und Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0388

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matisiischer" Kunst geben; nennt sie doch auch ihr Verkündiger Kasimir Malewitsch
die „aeronautische". Ob die Ziele nicht in Wahrheit in den Wolken liegen?

Sicher isi leider eines: „das haltlose Hin und Her des Kunstlebens unserer Tage",
um mit Walter Riezler zu sprechen. Sicher das andere, daß wir noch nicht allzuweit
auf dem Wege zur Besserung fortgeschritten sind. Und da halte ich es für richtig,
einmal zurückzublicken. Griechische Tempel und gotische Dome, europäifche und
asiatische Bauten sind im ganzen wie in ihren Einzelteilen von einer merkwürdigen
Kraft getrieben und getragen. Kunst und ihre Ewigkeitswerte sind im Göttlichen
verwurzelt. Ohne daß sich um sie der Streit, ob kausal, ob teleologisch, wie um
Technik und Wirtschaft, entspinnen kann, liegt ihr Wesen, ihre csu8s und ihr telos
in Eigengestaltung und Neuzeugung verankert. Zwischen Natur und Kunsi bleibt
zunächsi ein m'cht zu beseitigender Zwiespalt: hier siändige Wiederholung, ständig
gleicher Ablauf innerhalb gesetzlicher Entwicklung, dort nur Werke an sich, Frühe-
rem und Späterem wenig verwandt.

Deshalb scheint es nicht weiter verwunderlich, daß Goethes Neigung mißverstanden
blieb, daß über khn hinaus Zoologie wiedcr nur dürre Wissenschaft war, Botanik, wie
Goethe bemerkte: „nur dem Apotheker, Blumisten und Tafelgärtner huldigte".

Neben der Naturwissenschaft aber gewann auf einmal die Technik größte Dedeu-
tung, schuf jene neuen auS ihrem Sinne verständlichen und empfänglichen Formen,
Formen von unleugbarer Schönheit, Osfenbarungen eineö gewaltigen Geistes und
ganz originell, wenigstens so lange, bis man merkte, daß Unterseeboot und Luftschisf
den Fischen, Kraftwagen den Heuschrecken, Hebezeuge irgendwelchen Jnsekten ähn-
lich sahen. AuS dieser Änlichkeit ließen sich interessante Schlüsse ziehen, und R. H.
Francö entdeckte sogar unausgenützte, konstruktive Möglichkeiten für die Technik
an Borbildern der Natur.

Gleicher Ablauf und RhythmuS der Formbildung verknüpfen somit Technik und
Natur noch enger, äußerlich einprägsamer, als die für beide gültigen physikalischen
Gesetze. Aber es war nichts NeueS; denn man hatte es stets geahnt: die Zukunfts-
träume der Technik, in Wort und Bild überliefert, beweisen es für die Geschichte.
Gleicher Ablauf und Rhythmus der Formbildung in Natur und Kunst hingegen schien
frevelnde Behauptung, frevelnd, obwohl man unschwer in der „flatternden Zier-
lichkeit eineS Rokoko-Ornamentes, wie in der heroischcn Strenge eines Renaissance-
Leuchters, im mystisch-wirren Rankenwerk gotischer Flamboyants, in edlen Sänlen-
schäften, in Kuppeln und Türmen exotischer Architektur, in goldgetriebenen Bischofs-
siäben, in schmiedeeisernen Gittern, kostbaren Zeptern ... in aller gestalteten Form
ihr Urbild in der Welt der Pflanzen" hätte finden können (Nierendorf).

Rudolf von Delius verösfentlichte vor zwei Jahren in der „Form" eine 2lrbeit,
die Niederschlag eigener Untersuchungen über die Beziehung zwischen Kunstform und
Naturform ist. Ein kleiner Aufsatz ohne Bilder, aber grundlegend, überrafchend
und wissend. Ernst Kropp brachte uns dann in seinem Werk „Wandlung der
Form im XX. Jahrhundert" (Berlag Reckendorf) erstaunliche Beispiele von Natur-
ornamentck, Bauten der Meerschnecke und des Seeigels, Schildkrökenpanzer, Schmet-
terlingsflügel und Gefieder. Er schrieb dazu, daß der Schmnck ciner Form in der
Natur niemals Gestalt sei, wies nach, daß das Schmuckbedürfnis als unbestimmte,
geheimnisvolle, zwecklose Komponente neben der Zweckschöpfung walte, daß beide
zusammen die Einheiten von höchstem äsihetischen Reiz schasfen. „Jnneren, zweck-
losen Auödruck der Lebendigkeit im Rhythmuö" nennt er den Schmuck, „der als
reliefartigr Struktur oder farbige Flächenbezeichnung im Material erscheint". „Eine
Gestalt mit Gestalt schmücken, wie es die frühere Ornamentik größtenteils zeigt,
heißt Blümchen auf die Flügel eines Schmetterlings malen."

Und wirklich, man kann nicht entschiedcn genug betonen, daß Blättern, Rosen, Gi'r-
landen und Fruchtkränzen in der heutigen Kunst kein Ranm mehr verbleibt; freilich

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