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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1930)
DOI Artikel:
Ullmann, Hermann: Zwischen gestern und morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0323

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XXXXIII.

Zwischen gesiern und morgen

Gespräch mik cinern Iüngeren

Von Hermann Ullmann

er Iüngere: So wäre die Verständigung so schwer, ,wären wir Iün-

^-^geren gewissermaßen ohne Nachhuk, ohne Fühlung mü einer Nachhuk
ins Leere hinausgeschickt?

Der Älkere: Verständigung? Sie ist schon möglich. Aber nicht unmittcl-
bar. Gewissermaßen nur durch Übersetzung aus einer Sprache in die andere.
Der Iüngere: 2llso zwei Sprachen sogar.

Der Altere: Ia. Und je klarer man sich darüber ist, daß zwei verschiedcne
Sprachen gcsprochen werden, nur scheinbar mit denselbcn Worten, dcsto eher
wird man zu einer Verständigung gelangen.

Der Iüngere: Sie meinen doch nicht: eine Vorkriegssprache und eine
Nachkriegssprache?

Der Ältere: Etwas grob ausgedrückt: ja. Die Weltkrise begann sreilich
vor dem Kriege und hak nicht mit ihm geendet.

Der Iüngere: 2luch das also wäre schon eine 2lrt Übersetzungsbehels?
Sic sagen: der Krieg ist der Einschnitk. Ilnd wie sollen wir, die wir den Krieg
nicht mehr erlebt haben, es nennen?

Der Ältere: Es wäre unnakürlich, wenn ihr zu dem llngeheuren, das sich
mit uns abspielt, schon Distanz hättek, so viel Distanz, daß ihr es beim
Namen nennen könnt.

DerIüngere: Ich srage mich oft: ob wir nicht die Tiefe des Einschnittes,
die Einzigartigkeit unserer Lage überschätzen? Ob es nicht jeder Iugend so
gegangen ist, daß sie im ivesentlichen allein stand und sich vor völlig neuen
2lufgaben fühlte? War es nicht immer eine Fiktion: sich geführt fühlen, in
Traditionen geborgen sein?

Der Älkere: Wenn euch das beunruhigk, dieser Zweifel, ob es an cuch
oder an der Zeit liege, daß ihr ein besonderes Schicksal über euch fühlt, so
versichere ich euch: eure Lage ist durchaus einzigartig.

Der Iüngere: Muß das nicht unsern Willen lähmen, wenn uns die
Gesamtlage, vor die wir gestellt sind, als das Entscheidende gezeigt wird?
Der Ältere: Das ist freilich zu bedenken. Und an diesem Einwand kann
ich Ihnen den trefsten Unterschied zwischen uns, zwischen Jhnen und mciner,
der fogenannten „Kriegsgeneration" zeigen. Die 2lufgabe meiner Gcneration
war es, die Gesamtlage zu erkennen, mehr noch: diese Erkenntnis gegen die
Vorkriegsillusionen zu erkämpfen. Vor allem gegen die Illusion: als könne
man irgendein Schicksal „machen". Wir erkannten: das Werden ent-
scheidek.

Augusthest I9Z0 (XXXXIII, II) 27Z
 
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