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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 11 (Augustheft 1930)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0391

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schen Kerngedanken des Zeitalterö, der
e>hne Zweifel ein Erlebnis der Gesamtheit,
eine Jdee von Führungskraft war. Seit-
dem wir mi't allen diesen Führungskräften
auf den blanken Boden gekommen sind,
sucht die Kunft nach „Jnhalten" — ge-
nau wie der Menfch, in dem sich di'c
natürlichen Lebenötriebe verbraucht haben,
nach Jnhalten sucht, um si'ch im Dasein
zu erhalten.

Jn Sowjet-Rußland, in Jtalien ösfnet
sich di'e Kunft einer Politisi'erung, d. h.
sie tri'tt in den Dienft des Staates, um
nur überhaupt i'hrem dri'ngendften und
tieffien Bedürfnig, in irgendwelchem
D i e n st zu siehen, zu genügen. Auf der-
selben Lini'e liegen Dinge wie das poli-
tische Theater von Piscator. Auch aus
älterer Zeit gibt es Beispiele für poli'ti-
sierte Kunst, so aus der Zei't der franzö-
sifchen Revolution und Napoleons. Es
sind im Ernft natürlich nur Steine ftatt
Brot, die man in diesen Fällen der Kunft
gegeben hat: das geiftige Nahrungsbe-
dürfnis der Kunft wird mit einer Politi-
sierung nur für eine gewisse Zeit betro-
gen, ni'cht geftillt — denn Kunft kann
auf die Dauer nur vom Geifte, nur vom
Werte, nur von religiösem oder minde-
ftens ideenhaftem Stoff leben.

Solcher Nährftoff ift unserer Kunft heute
nicht gegeben. Wir können in Deutfch-
land nicht einmal an eine Ersatzbefriedi-
gung nach russifchem oder italienifchem
Beispiel denken — weil unser Staatü-
gedanke m'cht annähernd eine vergleich-
bare Schwungkraft besitzt. So haben
wir, so hat unsere Kunft die heutige Locke-
rung aller geiftigen Lebenüverbände in
der fchärfften Weise zu tragen — und
der verlorene Krieg, der unsinnige Frie-
densvertrag, die wirtfchaftliche Deprcs-
sion, die natürliche Problcmatik der deut-
fchen Seele wirken sich als weitere Be-
laftung dieser Lage auü.

Kein Zwcifel: diese Lage wird sich lösen.
Wir wachsen in Sine veränderte Welt
hinein. Die Krise der Kunst ift kein Ende,
sondern ein llbergang. Eine kleine Dre-
hung des Blicks — und wir sehen in der
Dechnik, in der mächtig auSgreifenden
Forfchung, in den Menfchentypen unserer
Dage neue Bildungen heranreifen, die ein
Sepräge von Kraft tragen, wenn wir
ihren Sinn auch noch nicht völlig durch-
schauen. Jm Ringen um die Wirklichkeit
ist die Kunst heute ungünftig gestellt, weil
es dieser Zeit auf daö „Ding selbst" an°

kommt, nicht auf Befchauung, Deutung
und durchgeistete Spiegelung. Aber die
Zeit der ä'unst wird zuverlässig wieder-
kommen — dann, wenn in der erneuerten
Welt eine neue Kraft des Geistes auflebt,
die wieder zum artikulierten „Worte"
drängt.

Jnzwischen kann aber — und damit kehre
ich an den AuSgangspunkt zurück — das
eine gefchehen, daß die Künftler die
Frage, weöhalb sie denn bilden und fchil-
dern, auf eine neue und viel dringlichere
Weise an sich ftellen lernen. Wenn es
Wirklichkeitshunger ift, der die Gegen-
wart beherrfcht, dann kann heute nur der
Gehör fordern, der von Wirklichem
spricht. Landfchasten abmalen, zu denen
man keine Beziehung hat, Apsel, Kak-
teen, Tabakspfeifen, Bierflaschen, Halb-
akte und Mobiliar zu Stilleben und Jnte-
rieurs arrangieren — was ist denn das
für eine Tätigkeit, wenn sie ohne jede
Beftimmtheit der Antriebe erfolgt, die
ihr Charakter und Wesen gibt? Jeder
lebt doch inSgeheim von etwas, jeder
bringt aus seiner Kindheit Träume mit,
gute oder böse, jeder hat Dinge und Ge-
danken, die ihn besonders angehen. War-
um redet er nicht lieber direkt und heftig
von diesen, ftatt in das allgemeine Kunst-
geschwätz, daö keinen mehr interessiert,
mit einzuftimmen? Wir sehen doch heute
im Bild lieber die Fetifche, die ein Leben
wirklich beherrfchen, als die lackierten
Götter, die sich einer in irgendwelchem
Weltanfchauungsladen gekauft hat. Lie-
ber daS heraldifche Glotzen Ozenfantscher
Formen und Farben als eine beliebige
Schönrederei; sogar lieber Chiricos
antik-modernen Trödelkram als eine un-
erlebte und ungefühlte Ordnung. Höher
fteht eS natürlich, wenn einer gleich Bab-
berger die Liebe, die Jugend, das große
Naturleben als eine Wirklichkeit in sich
erfährt — denn die Sonne geht m der
Tat noch jeden Morgen auf, und an den
Bäumen reifen jedes Jahr die süßen
Früchte, die den Kindern und den Frohen
allen gegönnt sind. Kann einer aber die
Sonne nicht mehr sehen, so male er das
Andere, wovon er lebt und worin er lebt.
Es ift daö direkte inhaltliche Sagen, das
heute auch die Maler von sich verlangen
müssen; wenn man will: die Einftellung
des Dilettanten. Der Dilettant ist dem
Berufskünftler in der Regel unterlegen
mit Hinblick auf die Darstellungsmittel,
aber er überragt ihn sast immer durch

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