Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1930)
DOI Artikel:
Umschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0392

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kraft und Richtigkeit der Antriebe. Die
Aussage aus der eigenen Lebenswirklich-
keit herauö — das ist es, was auch in
der heuti'gen Lage von der Kunst geleistct
werden kann. Und ich meine dies bcileibe
nicht im Sinne einer erpressionistischen
Subjekkivität, sondern die Sache ist so zu
denken, daß dieses Hineingreifen in die
eigene LebenSwirklichkeit auf Gesetzliches,
Breiteres, Allgemeingültigeres und damit
Objektiveres führen soll.

Jm Schrifttum unserer Tage findet
man manche Beispiele für einen entfchlos-
senen Übergang zu dieser Art Aussage.
Wer zu schreiben versteht, kann selbstver-
ständlich über alles mögliche schreiben.
Wer sich einigermaßen in der inwendigen
Struktur des Menschen auskennt, kann
sich im Leben oder in der Literatur Dut-
zende von Persönlichkeiten greifen, deren
Rätsel er enträtselt, deren Gestalt er deu-
tet, — und kann dabei ein unbändiges
Geschwätz verüben, wie gewisse Autoren
mit monumentalen Auflageziffern bewei-
sen. Legt er aber noch halbwegs Wert
auf Echtheit der Leistung, so wird er nur
dann über eine Persönlichkeit sprechen,
wenn etwas in deren Wesen oder Lebens-
gang bei ihm „gezündet" hat. Nur dann
geht sie ihn etwas an, nur dann „weiß"
er etwas von ihr. Wie gesagt, man fin-
det im heutigen Schrifttnm vielfach Spu-
ren davon, daß die Frage, weshalb
denn der Einzelne anS Schreiben geht,
neu und ernsthaft gestellt worden ist.
Auch in der Kunst ist daS analoge Bor-
gehen möglich. Auch der Künstler sollte
heute nur dann sprechen, wenn ihm un-
zweideutig daS Stichwort gegeben ist; nur
da, wo er liebt und brennt; nur von dem,
was ihn angeht; nur auf Grund von
Lebenüzusammenhängen. Man kann ihm
dafür freilich nicht den sofortigen Lohn
in Lorbeer oder klingender Münze ver-
sprechen. Wohl aber ein Eintreten der
Kunst in ein echteres Dasein, mit neuen
Freunden und Feinden. Jnsbesondere
dürfte die viel beredete Abwehr der mo-
dernen Raumgestaltung gegen das Bild
an der Wand nur dadurch zu bekämpfen
sein, daß das Kunstwerk wieder Zeichen
für Wirkliches wird und sich so dem mo-
dernen Wohnraum, in dem alle Dinge ja
auch unreflektiert ihren Dienst tun, inner-
lich angleicht. Wilhelm Michel

Sowjetmaler in Berlin

ie „Gesellschaft der Freunde des neuen
Rußland" hat in der Sezession eine
Ausstellung Sowjet-Malerei veranstaltet,
deren Borwort allerlei Hoffnungen er-
weckt. Auf den Juryfreien von 1927 und
1926 waren ziemlich reichhaltige Abtei-
lungen zu sehen, die feststellen ließen, daß
Geschmack und Können genug vorhanden
waren. Diesmal, heißt es, sollten alle die
Vereinigungen ausstellen, die nach der
Konsolidierung des neuen Sowjetstaates
sich gebildet haben. „Markante und be-
deutende Meister revolutionärer Prä-
gung" sollten wir kennen lernen, „my-
stischen RealiSmuS" und „zeitgemäße The-
matik", Schilderer „des Milieus, der heroi-
schen Seite der Revolution, die auch die
formale Seitc nicht vernachlässigen, sie
aber dem Jnhalt unterordnen"; diese
Gruppe werde am reichhaltigsten in der
Ausstellung vertreten sein.

Nun, nichts davon wird geboten. Viel-
leicht hat man die Spannkraft unserer
Nerven unterschätzt und nicht gewagt,
blutrünstige Schilderungen zu bringen.
Jmmerhin, auch wir haben einen langen
Krieg hinter unü und können etwaS ver-
tragen, vorauügesetzt, daß man unü nicht
Neporterarbeit, sondern Kunstwerke vor-
setzt. WaS wir sehen, sind zum Teil recht
hübsche Arbeiten, Alltagöschilderungen,
Landschaften, Stilleben, von auSgespro-
chen bürgerlichem, um nicht zu sagen
kleinbürgerlichem Charakter. Von alten
Bekannten begrüßen wir den so vielfältig
verdienten Grabar, der eins der weni-
gen Porträtö der Ausstellung, daü unsreü
Oskar Fischcl bringt. Ein paar Fabrik-
bilder von Gerassimow, Jakow-
lew, Pokarschewsky, ein Erdbeben
auf der Krim von Petrow-Wod-
kin, sehr fein empfundene Bilder von
A. P a ch 0 m 0 w. Damit ist fast alles
aufgezählt, waü von größeren Arbeiten
bedeutcnd ist. Selbst die Abteilung Gra-
phik und Aquarell, in der die Nussen von
je außerordentlich Feines schufen, ist klein:
Tyschler, LabaS,Koleschnikow
und wieder P a ch 0 m 0 w. Viele hier
nicht erwähnte Künstler arbeiten mit Er-
innerungen an die Vergangenheit, rus-
sische und französische, ohne daß eS ihnen
gelingt, ctwaü Neues auszudrücken.
Sinebusow zeigt eine Darstellung
auS Berlin, den Kurfürstendamm bei
Nacht, die Vision einer sehnsüchtig er-

334
 
Annotationen