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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0263

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Weiler war dork zu sehen uud nicht einmal e:u schmaler Ilferweg schien die
lichte grüne Wildnis vom Wasser zu trennen. So hatte ich es mir lange
gcwünschk, nnd fasi bereuke ich, daß ich ausgefahren war, um Städke zu
sehen und Bauken und Bilder der Menschen. Ich wollke in einem Kahn
dork hinüber rudern und vom Wasser weg unker die uralken Bänme sprmgen
und mich weglos ins Weglose verlieren wie jener immer beneideke Nakky
Bumpo, Chingachgooks edelmükiger Freund am Glimmerglas-See.
Indessen war es darüber bunkel geworden, die Fische hakken aufgehörk, nach
den Kirschkernen zu kauchen, und mik einem Schlage erhob sich ein wilder
und verworrener Lärm von Tschmellen und Trompeken, Pauken, Geigen und
Trommeln an vielen Skellen hinker meinem Nücken zugleich: da wandke ich
das Gesichk vom Glimmerglas-See fork, auf dem ein paar einsame Barken
krieben, und sah Lugano wie eine Kirmesbudensiadk so schreiend bunk erhellk.
Nechker Hand, linker Hand und das Schakkenrund des Hanges hinauf waren
die Konkuren der Häuser, ja der Kirchen sclbst mik weißen, rokcn und grünen
Glühlämpchen nachgezogen, und mik grellen Lichkern liefen und verschwandcn
die Nkamen der großen Hokels über dem Himmel der Skadk und kehrten
zuckend wieder, als habe man sie inzwischen gezwungen, mik Geisierschnelle
um dcn ganzen Erdball zu rennen. Zugleich hakken vor allen Kasteehäusern
und Bars die Musikanken ihre Klaviere und Schellenbäume in Skellung ge-
brachk, ofk ihrcr drci Musikbakkerien an den drei Häuserwänden einer winzigen,
zum Wasser hin offenen Piazza einander gegenüber, nnd ba sie im eigenen
Lärm nur sich selber hörken, nahmen sie es von den Zuhörern nichk anders
an und rasselken und heulken mik wilder Hingebung darauf los.

Wirklich fand ich, hinzukrekend, auch bald heraus, daß eine jede der Kapellen
eine Lufk- oder Lärmgalle rings um sich her ganz mik dem eigcnen Geräusch
erfüllke, inncrhalb deren Horn und Schlagzeug der andern nichk zu vcrnehmcn
warcn; die genauen Grenzen bezeichneke das Nudel der lauschend hernmsiehen-
den Zuhörer. Ienseiks davon aber geriek man unweigerlich in die Wider-
wässer, Mündungswirbel und den Nückschwall vieler Musiken zuglcich,
der die Gassenschlüchken den Hang hinaufbrandeke und um die Gießbäche,
Ninnsale und Traufen mannigfacher Liebhabermusiken, Lauksprecher, Grammo-
phone, Hirkcnpfcifen, Mandolinengezirp, Einzel- und Chorgesang und Kinder-
kreischcn vermehrk wieder auf die Piazza zurückebbke.

Vor eincm Kaffeehaus unker den Skeinlauben am Markk indessen sang ein
wohlgenährker, aber noch sehr jugendlich aussehender Tenor Lieder und Opern-
arien zur furchkbar falschen Begleikung einer kleinen Kapelle. Er rang die
Hände dabei oder legke sie hohl vor das Herz, er machte Ausfälle bis dichk
vor die Zuhörer hin und känzelke federnd wieder zurück, doch war im Blick
seiner feurigen Augen, im Werfen und Nvigen des Haupkes, in der 2lrk,
wie er mik stolzer, enkschiedner Gebärde der Hände eine unwürdige Zumukung
von sich zu weisen schien, ekwas vom verwandelnden Adel der echten Leiden-
schafk. Das Lärmen der 2lnkos, das Geschrei der Kinder, die fast um seine
Km'e hcrum Haschen spielken, schien er nichk wahrzunehmen, solange er sang;
cr war der Mitkelpunkk der Welk, solange seine Kehle schlug.

An der Hauswand jedoch hinker ihm, das Gesichk den Zuhörern zugewandk
wie er, saß an einem wiuzigen eisernen Tischchen eine ungcheuerlich fekke
 
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