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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1931)
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Berrsche, Alexander: Pfingstwunder der deutschen Musik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0071
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es war ja immer so — losgegangen war. Aber da hak unser Pfarrer einem
Freund, der seine Geige bei sich hakke, einen Wink gegeben, und die beiden
haben den VerLreLern der feineren KulLnr das Abendlied Slhumanns vor-
gespielL, worauf die ganze DebaLLe erledigL war: alle haLLen auf einmal —
für wenige MinuLen — deuLfch verfianden.

Er sprach höchfi anfchaulich, ja dichLerifch, und während die Gemeinde in
dem milden Befremden verharrLe, miL dem man Lm KonzerL einem Solifien
folgL, der bei der Kadenz den Übergang znm DominanLsepLakkord miL dem
langen Triller nichL finden will, fchauien wir Kinder in fefilicher Spannung
hinanf zu dem alLen Herrn, der nun wahrhafLig eine Pause machLe und miL
einem Lächeln seliger AbwesenheiL daftand. Wir wußLen, daß er miL dem
inneren Ohr auf die Klänge laufchLe, die seine beredten WorLe herbeigelockL
haLLen, und es war uns, als müßLen es auch alle anderen hören, wie die späL-
sommerliche SchönheiL und Trauer der Schumannfchen Melodie für einen
Augenblick fremd und verklärend den fiillen Raum erfüllie. Das dauerLe nur
wenige Sekunden. Dann kam dennoch die ÜberleiLung zum DominanLsepL-
akkord, und die PfingfipredigL ging machLvoll zu Ende.

Der feine, aus Geifi und GüLe gefchaffene Seelsorger hak längfi die Augen
zugemachL. Ich ehre sein Andenken in der Erinnerung an viele unvergeßliche
und erhebende Eindrücke. Keiner davon fiehL mir so lebendig vor Augen wie
der MomenL in jener PfingfipredigL, wo die LeuLe geglaubL haLLen, er sei
fieckengeblieben. Wenn ich einem Ausländer klarzumachen häLLe, was es
eigenLlich miL der deuLfchen Musik und den musikalifchen DeuLfchen für eine
besondere BewandLnis habe, so würde ich ihm diese kleine Gefchichte erzählen.
Er sollLe daraus eine Ahnung bekommen von den selLsamen Menfchen,
denen Musik kein sogenannLer Beruf, keine UnterhalLung, kein GehirnsporL
ifi, sondern ein LebenselemenL, das sie umgibL und durchdringL wie die
LufL, die sie atmen. Und dann sollLe er sich seine Gedanken darüber machen,
was das aber auch für eine Musik sein müsse, die die Kraft habe, einen
Menfchen fieLs und ganz zu beherrfchen, ihm in jeder Sekunde seines Lebens
bewußL gegenwärtig zu sein und in all sein Tun und Lassen heimlich hinein-
zuklingen. Es haL ja jenseits unserer Grenzen nie an feinen Köpfen gefehlt^
die das Besondere unserer Musik und unseres Verbundenseins mik ihr emp-
funden haben. In der französifchen LikeraLur fiößt man bereiks in der erfien
Hälfic des 19. IahrhunderLs, und ofL gerade dorL, wo man es am wenigfien
erwarkek HLLLe, auf Spuren hellsichkigen Verfiändnisses, ja auf Regungen
einer nur halb eingeftandenen und fafi verfchämken Schwärmerei für die
eigentümliche Erfcheinung des musikalifchen Deutfchen. Aber der Blick dieser
BeobachLer haftet immer nur am einzelnen Fall; es ifi der Blick des Samm-
lers, der liebevoll auf seltenen Eremplaren verweilL. lLkiemand sah im fchein-
bar Zufälligen das SympkomaLifche und Symbolifche, und mancher, der
nur eine AnekdoLe zu erzählen glanbke, wußke nichL, daß er den Schlüssel
zum Innerfien des deuifchen Wesens in der Hand hielL. Freilich ifi der
DeuLfche fchwer zu begreifen. Er war von je der Märchenhans und Dumme-
ling, der immer zu späL gekommen ifi. Aber wenn er dann endlich zur Skelle
war, haLLe er Glück und führke die BrauL heim. Das war unverfiändlich,
ja yrovozierend, und ifi merkwürdigerweise nicht rechtzeitig unkerbunden

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