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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 1 (Oktoberheft 1931)
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Michel, Wilhelm: Das Geheimnis des Schlafs
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Berrsche, Alexander: Pfingstwunder der deutschen Musik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0070

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sönliche, menschheitliche Solidaritätsgefnhl sür den Schlaf über den
Mörder herftürzt nnd ihm jene spruehartigen, betraöhterischen Äußerungen
erpreßt, die faft die Seele des Hörers sgrengen:

Mir fchl'en, als hört ich rufen: Schlaft nicht mehr!

Macbeth ermürgt den Schlaf, den frommen Schlaf,

Schlaf, der den wirren Knänl der Sorge löst,

Tod jedes Lebenstags, Bad schlimmer Mühn,

Balsam für Herzleid, zweite Form deö Seins,

Hauptnährer bei des Lebens Mahl.

Das ist der erste Ausdruck des großartigen Ent-täuschungs-Vorganges, der
dem Macbeth-Drama die innere Führung gibt: einen Einzelnen, Fremden
glanbte Macbeth zn morden, und nnn sieht er, daß er erstens die ganze
Menschheit angegriffen hat, und zweitens, daß die Tat sich in ihn selbst hin-
einfrißt und ihn aus dem Leben hinausdrängt. Die uferlosen Verschränkun-
gen, in die wir hineingestellt sind, bleiben der unschuldigen Seele unbewußt;
sie lebt in ihnen, aber sie weiß sie nicht. Fedoch die Tat, die diese Ver-
schränkungen verleHt, stellt sie plötzlich grell vor das Bewußtsein: der Mörder
weiß sie von dem Augenblick an, wo sie sich gegen ihn kehrm. Macbeths
Worte, eine Minute nach dem Mord, müssen reflektierend sein, weil
er soeben etwas Wichtiges erfahren hat, das er noch nicht wußte: die wunder-
bare Wahrheit über den Schlaf. Nmn, da er sich anf ewig vom Schlaf
geschieden hat, reckt sich diese Wahrheit vor ihm auf in Worten von zer-
malmender Pracht und wirft ihn zu Boden.

Pß'ngsLwunder der deukschen Muslk

Von Alerander Berrsche

^>iese Überschrift ift nicht von mir, sondern von meinem alten Pfarrer
c-<-/bei uns daheim. In einer Pfingstpredigt sprach er von der Kraft des
Heiligen Geistes, die es bewirkt habe, daß die Worte der Apostel allen
Hörern, den Juden, Griechen und Römern, verständlich gewesen seien, weil
jeder sie in seiner eigenen Mnttersprache gehört habe. cklnd um uns Kindern
dieses Wunder plausibel zu machen, brachte er die Rede auf die Mmsik,
besonders anf die deutsche Musik, deren Gewalt zu jedem Menschenherzen
dringe, und er sagte, daß darum die deutsche Musik auch ein Pfingstwnnder,
ja ein ewiges Pfingstwunder sei. Er war nämlich selbst ein Musiker, hatte
mit Liszt vierhändig gespielt, mit Bruckner Briefe gewechselt und hatte für
unsereinen, der verbotenerweise und über das ihm angemessene Pensum hinaus
an Liedern und Klavierstücken von Schumann, ja am Klavierauszug des
Tristan naschte, statt der gebotenen Strenge ein kameradschaftlich aufmun-
terndes Lächeln. Da er aber auch — als Musiker — der Mann der im-
provisierten Nede war, dem es unmöglich gewesen wäre, eine Predigt auf-
zuseHen und zu memorieren, so widerfuhr es ihm damals, daß er sich aus dem
86ennckurn nicht mehr recht zum tsrtiuin eoinyarationi^ heimfand und in ein begei-
sterungsvolles Erzählen geriet. Er erzählte ein Erlebnis von einer Wallfahrt
ins Heilige Land, wo bei einem Aufenthalt in Smyrna oder Ephesus eine
wüste polnische und sranzösische Schimpferei auf die deutschen Barbaren —
 
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