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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 7 (Aprilheft 1932)
DOI article:
Borchardt, Hermann: Russisches Tagebuch, [3]
DOI article:
Briccius, W. A.: Internationale politische Verschuldung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0526

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Und im Rückblick auf das gewallige sowjetrussische ErperimenL, das genau
so lange weitergetrieben werden wird, als der kolonisatorische Antrieb reicht und
durch Erfolge genährt werden kann, genau wie im Nückblick auf die unge-
nutzten Erdräume im Wefien, über See, gewinnt das kleme, enge, in Krisen
erschöpfte und in sich bis in die letzten Möglichkeiten durchgeprüfte Europa
einen neuen Sinn. Es ifi nicht entbehrlich, nicht am Ende. Aber nur im
Zusammenhang mit Außeneuropa.

Dieses zerrissene, sich selbfi zerfleifchende, glaubenslose, gefialtlose Europa?
Träume? Wo führt der fchmale Weg in diese Zukunft? Wo ist die Brücke
aus der Enge der Gegenwart? Dranßen liegt das Land in Morgensonne,
Notland, Ofideutfchland, der Zug ifi voll mit sorgenvollen Menfchen, die
nicht wissen, wie gut sie gekleidet sind, wie üppig das Frühfiück ifi, das sie
verzehren. Berliner Zeitungen werden in den Zug gereicht: Frankreichs Nein
in der Reparationsfrage, die mandfchurifche Frage vor dem Völkerbund...

JnLernaLwnale siollLlsche Verschuldung

^^mmer mehr verstrickL sich die Welt im Netz der fchweren Wirtfchaftskrise, nnd
-^)es fcheint faft keinen Ausweg oder Dnrchschlnpf zu geben. So weiß man augen-
blicklich keine andere Rettung, als daß man die Tür des eigenen Hanses kräftig zu-
fchlägt und sich recht nnd schlecht unterm eigenen Dach einzurichten beginnt. Dabei
versichert jeder dem andern, daß er das alles sehr unfreiwillig tut und nur durch di'e
Maßnahmen des Partners dazu gezwungen wird. An Stelle der Weltwrrtschaft
beginnt eine Kleinftaatswirtschaft zu Lreten, und wir sind auf dem beslen
Weg zur autarken HauSwirtfchaft, aber nicht etwa im mittelalterlichen Sinne, son-
dern zu einer AuSartung in Form einer SchneckenhauSwirtschaft.
Znzwifchen müht man sich, den Sündenbock zu finden. Aber der Ursachen der Welt-
wirtfchaftskrise sind zu oiele, und es wird wohl nie ganz gelingen, die Verflechtung
der Ursachen und ihre gegenseitige Bedingtheit zu erklären. Aber noch weniger wird
es zum Ziele führen können, wenn man die ungeheuer verwickelten Vorgänge dadurch
vereinfachen will, daß man sie auf eine einfache Formel bringt und diese in die
Köpfe einzuhämmern beginnt. Dann landen wir wieder einmal bei den Schlagworten,
und an der Krisis sind der Kapitalismus, die Revolution, das Gold, die Zuden, das
„Syftem" die Alleinfchuldigen. Eines aber ift sicher, daß zu den primären Ur-
sachen die politische Verschuldung der Welt gehört; und weiterhin
ift gewiß, daß ohne weitgehende Streichung der internationalen Schulden kein Weg
aus der Sackgasse zu fmden sein wird. Umftritten aber sind die Formen, die Höhe
und die Verteilung der Schuldenstreichung. Zedes Land entwickelt dabei seine eigene
Theorie, und diese Thesen sind fast unvereinbar. Fn einer einprägsamen Form hat
„Das Tagebuch" diese verfchiedenen Auffassungen dargeftellt:

„i. Diefranzösische: die europäifchen Salden müssen unberührt bleiben; soweit
Amerika verzichten will, werden wir folgen.

2. Die englische: ein Saldo zu Deutfchlands Laften muß bleiben; über dessen
Verteilung müssen die Gläubiger sich einigen.

Z. Die italienische: zunächft müssen alle Europäer auf ihren Saldo voll ver-
zichten; dann wird man auch Amerika zum Vollverzicht bewegen.
ch Die deutsche: vereinbart, was ihr wollt; ich werde nie mehr zahlen.

Z. Die amerikanische: vereinbart, was ihr wollt; ich werde nicht verzichten."
Die Lösung oder doch die Klärung dieser Fragen wird für die nächfte Zeit im Vor-
dergrund internationaler Verhandlrmgen ftehen. Will man sich aber über daö all-
gemeine Gefchrei „Schluß mit den Reparationen!" hinaus ein Bild von den Mög-

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