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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 5 (Februarheft 1932)
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André, Hans: Stilgesetze pflanzlicher Formgestaltung im Lichte Goethescher Naturanschauung
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Luserke, Martin: Der Dampfer, der aufs Land heraufkam
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0349

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em wirksames Gegengift gegen die Vermaterialisierung der Rkaturwissen-
schaften war nicht mehr zu bilden. Hier muß eine Philosophie des Seins
und nicht nur der Idee wieder ganz neu einsetzen. Denu — wie Hedwig
Conrad-Martius zeigte — kann anch die anschauungsbedingte Ideenphilo-
sophie eines Hegel nicht mehr als eine Scheingestalt des Wirklichen
gewinnen. Daß die Dinge eigenmächtig (als Substanzen) in sich selber
stehen, kann aus ihrer Idee nicht begriffen werden, sondern weist aus den Ur-
stand eines wesenhaft Seienden hin, das aus seiuem Wesen heraus,
d. h. durch sich selber im Sein steht. lbkur von ihm aus läßt sich
Realität konstituieren. Goethe hat das tiefe Problem, das in der Nealität
steckt, gesehen. Wenn er sagt, „daß der Begriff des Entstehens uns durchaus
versagt bleibt", so liegt dem die Ahnung zugrunde, daß eben Idealität nie-
mals Realität ans sich entlassen kann, und daß die Wirklichkeit doch mehr
ist als ein bloß logischer Prozeß.

Der Dams)fer, der aufs Land heraufkam

Von Martin Luserke

(IsP^er einmal ein großes Fahrzeug gesteuert hat, der weiß, daß der ganze
^-^-^schwere Bau mit den vielen Näumen in seiner hin und her verspannten
und verschraubten Festigkeit von Rumpf und Decks zuweilen auch etwas wie
Charakter und Willen zeigen kann. Ein Schiff in Fahrt zeigt Launen; es
hat gute und schlechte Tage; es scheint manchmal unerklärliche Zu- und 2lb-
neigungen gegenüber bestimmten Rudersleuten zu äußern. Aber wir heutigen
Menschen nehmen solche Reden der Seeleute natürlich nur als Gleichnisse...
Der Dampfer, der aufs Land herauf gekommen war, lag an einer einsamen
Dünenküste. Man sah ihn als fremdartige, dunkle Erscheinung noch gerade
von der belebten Gegend im Süden her. Eine der großen Wasserstraßen ins
Festland hinein durchbrach dort die Wildnis der Küstensande künstlich gerad-
linig. Molendämme zeigten noch weit in die flache See hinein, daß hier eine
Strommündung von den Menschen zur Vernunft gebracht worden war. Der
Kontinent bestand am Kanal nur aus grünen Deichwällen. Wenn der uner-
meßliche Wasserhimmel dämmerig wurde, stachen Systeme von Lichtern auf,
die alle mit bunten Farben etwas sagten oder die blinzelten und winkten. Aber
hinter diesem schmalen Streifen von Ordnung und Betriebsamkeit gingen die
Deiche sofort in Dünen über, und der Strand wurde breit und öde. Wenn
man sich an das unablässige harte Rauschen der See gewöhnt hatte, war der
Strand nach Rkorden hin für das Ohr ebenso leer wie für das Auge.

Dort in der Einsamkeit lag die Eisenmasse des Wracks unmittelbar am Fuße
der Dünen. Der Dampfer schien, besonders in der Abenddämmerung, riesen-
groß und haushoch auf dem Sand zu lasten. Der Schornstein mußte einmal
ganz über die Dünen weg ins Innere des Landes geschaut haben. Da auch
nicht die geringste Möglichkeit bestand, das Schiff jemals von dieser Stelle
wieder abzubringen, hatte man begonnen, es abzuwracken. Vorder- und Hinter-
schiff waren schon bis auf den Boden herunter verschwunden, und der offene
Ouerschnitt stieg bis zu den drei Stockwerken des Brückenaufbaues in die
Höhe. Ganz oben hing noch ein weißes Rettungsboot in seinen Davits. Im

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