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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 1 (Oktoberheft 1931)
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Rinn, Hermann: Vom Sinn einer Zeitschrift
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Ullmann, Hermann: Krisenpsychose und Wirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0023

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alte Deutsche zeigt, der noch erne Grenzbereinigung mit seinem Nachbar ans-
znsechten hat, ehe er gegen den gemeinsamen Feind geht, als aber auch un-
mißverständlich der gute Wille, die Bereitschast und die Möglichkeit der
Sammlung jener Minderheit, anf die es ankommt, vorhanden ist. Wir
bitten daher ausdrücklich zu Beginn dieses Iahrgangs wieder um die Mit-
arbeit unserer Leser, um eine aktive Förderung unserer Arbeit, nicht zuletzt
aber darum, die Scheu vor dem kleinen Opser zu überwinden, das eine Not-
gemeinschast, wenn das Wort erlaubt ist, verlangen muß, die dem Ganzen
dient und dieses Ganze endlich aus dem Zustand geistiger Verarmung und
ewiger Ausgeitschung heranszuführen helfen soll. Der Heransgeber

Krisen^sychose und WirklichkeiL

Don Hermann Ullmann

ie geistige Iknruhe und Unsicherheit unserer Zeit treibt von einem Extrem

^-^ins andere, und nur, wer ein Extrem betont, hat Aussicht auf Beifall.
Freilich nur solange, bis das hastige Pendel nach der andern Seite schwingt.
Dabei wird es, selbst auf die Gefahr hin, daß der Beifall ausbleibt, geradezu die
Pflicht eines jeden, der im Sinne der Mitverantwortung für eine imagi-
näre Führung denkt und wirken möchte, sich dem allzuweiten nnd allzuhef-
Ligen Ansschlag des Pendels jeweils zu widersetzen. Nicht um einer fanlen
Mitte, sondern um der Besinnung auf das Ganze willen, das bei solcher
geiftigen Überbetonung der Extreme in die äußerste Gesahr gerät.

Hatte man lange Zeit Mühe, darauf hinznwirken, daß die Krisenerscheinun-
gen in der Wirtschaft, im sozialen, geistigen, religiösen Leben nicht allzu sehr
für sich, gesondert und spezialistisch betrachtet werden, so ergibt sich neuer-
dings die entgegengesetzte Gefahr. Man hat die „totale Krise" entdeckt, man
schwelgt geradezu in ihrem Llnblick wie in dem eines großartigen Elementar-
ereignisses, und das Ergebnis ist geradezu eine mehr oder minder wissenschaft-
lich unterbaute Krisenlyrik. Sie könnte als geistige Mode gleichgültig sein,
wenn sie nicht, vielleicht wider den Willen der Urheber, bei der GefolA-
schaft eine neue Flucht aus der Wirklichkeit erzeugte, eine neue Form jener
geiftigen Haltnng, die uns ungolitischen Deutschen seit dem Znsammenbrnch
so unendlich geschadet hat. Iener geistigen Haltung überdies, die gerade in
der Schicht der „Gebildeten" so überans beliebt ist und, auf dem engeren
politischen Gebiet, dem Nütionalsozialismus den Werbeerfolg verschafft,
aber auch die politisch-praktische Wirksamkeit abschneidet. Es wird Zeit,
der „totalen Krise" so nüchtern wie möglich ins Antlitz zu schauen. Es bleibt
dabei noch genug Unheimlich-Schicksalhaftes übrig, und das Mrdusenhaupt
wird nicht leichter erträglich, wenn man ihm ohne einen künstlichen Pallas-
schild, verziert mit Phantasiesgielen oder Allheilmittelrezepten, entgegentritt.

So schwer es ist, den einzelnen Erscheinungen der Krise bis dahin nachzn-
gehen, wo sie von dem „normalen" Ablanf der Ereignisse abzweigen und
wieder in ihn münden, so verhältnismäßig einfach ift es, sich von dem Wesen
der Krise als Ganzem ein Bild zu machen. Es hat immer wieder Zeiten ge-

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