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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1932)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Kluft zwischen den Generationen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0544

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Die Klust zwischen den Generationen

Von Wilhelm Michel

'er von der KlusL zwischen alten und jungen Neenschen als von einem

^-^-^besonderen Problem unserer Tage spricht, dars sicher sein, daß ihm
alsbald der Einwand begegnet: Aber diese Erscheinung ist ja uralt! Immer
haben die Söhne anders gedacht als die Väter, immer sind sie mit diesen in
Konslikte geraten. Man hat auch immer begrisfen, daß das so sein muß;
denn ohne die Vorstöße der Iugend wäre die Welt niemals weitergelangt.

Der Einwand sagt Richtiges, aber er läßt die Klust zwischen den Generationen
dennoch als hentiges Problem bestehen. Denn die Schärse, die Schrosf-
heit, mit der diese Kluft heute auftritt, sie ist es, die ihr ein gegen früher völlig
verändcrtes Gesicht gibt. Was der Mensch lebt, was er ertragen kann und
was nicht, das ist an bestimmte Maße gebunden. Die EntgegenseHung zwi-
schen Alt und Iung geht heute über Maße, die bislang geläufig waren, weit
hinaus. Deshalb wird sie als etwas Nieues sühlbar, schmerzlich, sast wie eine
Erkrankung.

Die Iugend seHt sich dem Alter hmte nicht nur mit bestimmten Überzeu-
gungen und Urteilen entgegen, sondern es sind tiefgreisende Stilunterschiede,
Haltungsunterschiede, die sich zwischen beiden austun. Selbst wenn heute ein
jnnger und ein älterer Mensch über einen bestimmten Gegenstand der gleichen
Meinnng sind, werden sie doch in ganz verschiedener Weise davon sprechen.
Wird der Ältere vielleicht große Worte gebranchen, breit ausladende Begrisfe,
so wird ihm der Iunge mißtrauisch ins Gesicht sehen und die großen Worte
für eine verkappte Lüge haltcn. Wird der Ältere Gefühl bekunden, innere
seelische Berührtheit, so wird der Innge kühl sormulieren nnd die gefühlige
Beteiligung nach Möglichkeit znrückdrängen. Wo die Älteren religiös spre-
chen, sprechen die Iungen lieber politisch. Wo dje Älteren an Persönlichkeits-
werten hasten, strömt der Sinn der Inngen bereitwillig in die Kollektivhal-
tung. Bei den Alten steht der Besitz eines geschlossenen Weltbildes in Ehren,
die Ingend fühlt sich anf tapferes Änshalten in einem nicht urbar gemachten
Weltbild verpflichtet. Sie bejaht die Widersprüche innerhalb der heutigen
Wirklichkeit. Sie sieht eine 2lrt Heldentum darin, zwischen ihnen ohne die
Hilse eines Systems anszuharren. Wo die Alten die lckkatur lieben und aus
herzhaster Freude an ihr lyrisch werden, da schluckt die Iugend Sonne und
Lnft aus Leibeskräften, aber sie macht keine dichterischen Worte dazu. cklnd
analog so weiter in der Liebe, im Familienleben, im ghilosophischen Denken.
Die Erscheinungm sind ja bekannt. Syrung der Iugend ins bedingungslose
Wagnis, etwa in der Experimentiergesinnung: Wir wollen einmal sehen, wie

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Maiheft igz2 (XXXXV, 8)
 
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