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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 4 (Januar 1932)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Neuer Blick auf die Kulturkrise
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0259

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XXXXV.

IPeuer BlicE au^ öie Kulturkrise

Von WLlhelm MLchel

(Zs^>och vor kurzer ZeLt schLen dLe KulturkrLse, d. h. dLe sehr gründlLche und
r weLkkrggende WeltrevolukLon, Ln der wLr begrLfsen smd, den GeLst ms
ID'cht-Verslehen zu stoßen. Es schLen Lhr hanptsächlLcher Wesenszug zu seLn,
daß sLe undurchdrLnglLch, wLld und sremdartLg vor den Angen stand und sLch
gegen jedes BegreLsen, guch gegen jede menschlLch saßbare ZLelsehung wehrte.
Das hat sLch neuerdLngs geändert. Man sLeht Ln manchen Augen eLn nenes
LLcht. DLe BaugLgkeLt vor der Frage, woher der ersiaunlLche, gesammelte Vor-
stoß der KrLse siamme, wohLn er zLele, ob er recht habe, sLch als unbedLngt und
apokalyptLsch zu nehmen, ob es möglLch seL, sLch Lhm zu versagen, und, wenn
mcht, ob dLe dann nötLgen Opser überhaupt tragbar seLen — dLeses GemLsch aus
ZusiLmmung, Entsehen, ibkeugLer und vLel kleLner, täglLcher Oual Lsi Ln eme
Klärung eLngetreten. Es begmnen sjch Ziele und Grenzen des großen Vorsioßes
abznzeLchnen, das Geschehen entdämomsLert sLch, wemgsiens für dLe Betrach-
tung, es wLrd neues Gespräch darüber möglLch siatt des bloßen GegeneLnander
der blLnden Parolen. Langsam kommt Ln der KrLse, dLe den Menschen bLsher
nnr als wehrloses Objekt kannte, der Mensch als Sehender und als MLttel-
punkt der Wertbezüge zur Geltnng. Nicht um dem großen Umsinrz Abbruch
zu tun, sondern um dem ELnzelnen darm eLne sreiere Stellung zu geben, die es
Lhm ermöglicht, dem NvtwendLgen mcht sinnlos zu widersireben und die
menschliche Form mcht sinnlos zu verleugnen.

DLese neue Haltung scheint mir Ln sich zu schließen eLne Bejahung der notwen-
digen Zerßörungen, aber zuglejch eine SLchtnng jener erweiterten neuen Fügun-
gen, die in die Bahnen des ewig MenschlLchen wieder emlenken werden. Also
z. B. HLnsLchtlLch der KunsikrLse: Bejahung der heutigen KunsiseLndschast, aber
mit dem WLssen um die ewige „WLederkehr der Kunsi". Oder Ln religiöser
RLchtung: Bejahnng der heutigen BerdLesseLtLgnng des Menschen, aber mit
dem WLssen, daß sich da der Mensch nnr LrdLsch konsolidiert, um dann desio
erklärter Ln religiöse Bezüge emzutreten. Bejahung des modernen Bewußtseins-
Zerfalls, aber mit dem WLssen, daß daraus eine neue, erweiterte BewußtseLns-
ELnheLt entsiehen soll. Bejahung des Stnrzes aller überalterten Lllphabete und
ZeLchen, aber mit dem WLssen, daß damit mcht das WLlde und Unbekannte
über uns Herr wird, sondern daß das Bekanntesie und LLebsie, das es sür uns
gibt, das Leben nämlich, ans einer unzureichenden ZusiändlLchkeLt herausgeht
und viele neue Subsianzen aus dem BereLch des bisher „ibkegaiwen" heran-
zieht, um sein neues Haus zu bauen. KennzeLchen smd: FreLheLt aus dem WLl-

Ianuarheft (XXXXV, 4)

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