Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Bücherbrief zu Weihnachten
DOI Artikel:
Endres, Fritz: Nordische Dichter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0236

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
beiläufig fünfundzwanzigtausend Neuerfcheinungen deutfchen Schrifttumö, so gut wie
nichts, und ich weiß, daß ich auch von vielem wahrhaft Guten und Wurdigen auS
der Unzulänglichkeit meiner Kenntnisse heraus fchweigen mußte. Möchte aber doch
wenigftens unter den Genannten keines gewesen sein, das den Befchenkten nicht bes-
ser und fröhlicher macht! Jch behaupte dreift, daß diesesmal weder Sie noch ich,
gefchweige denn die Autoren die Schuld daran haben können: womit ich mich beftenS
empfehle. Paul AlverdeS

^^ N'ordi^'che Dichter

^^/ie nordifche Dichtung hat etwaS vor der heutigen deutfchen Dichtung voraus: sie
besitzt, zum mindeften auf epifchem Gebiete, eine llberlieferung. Ihre Erzähler
können erzählen; die langen Winternächte, so möchte man meinen, haben ihnen und
ihren Zuhörern die Geduld gelehrt, deren der wahre Erzähler bedarf. Von Iugend
an erleben sie das Raufchen des MeereS, das Brausen der unendlichen Wälder,
die harte, ewig gleiche Arbeit des Schiffers und des Fifchers, des Holzknechts und
des Bauern; ihre Städte sind weder so groß noch so laut, daß sie diese ftrenge Mo-
lodie uberknatterten und überfchrien. Deshalb hat die nordifche Epik immer eine
Ahnung von großer Form, auch wenn sie diese Form nicht immer ausfüllt; immer
ein Wissen um große Inhalte, obwohl sie das inhaltsreichfte Erlebnis Ler Zeit, den
Weltkrieg, nur als Zufchauer gesehen hat. Gewiß hat sie die Mächte der Zerftörung
nicht so gefühlt wie wir, aber besser als wir kennt sie die Mächte der Erneuerung;
gewiß haben wir ftärker als sse unter dem Fluche des Menfchen gelitten, aber be-
wußter als wir kann sie uns hinweisen auf den Segen der Erde. Wieder wie in den
Tagen der Edda spricht sie zu uns als Bewahrerin uralten germanifchen BesiHes,
und könnte etwa Selma Lagerlöf, deren neueftes Buch „Aus meinen Kindertagen"
(Albert Langen) hier bereits eingehend gewürdigt worden ift (/fch Iahrgang, Heft 7),
nicht aus den Tagen der Edda ftammen!

Mit dem Dänen Anker Larserr, dessen Ruhm auf seinem großen und guten Roman
„Der Stein der Weisen" beruht, mag der Leser anfangs einige Mühe haben. Er
erwartet einen Dichter und findet, zunächft wenigftens, einen Denker, der fich der
Dichtung nur bedl'ent; der Gedanke, nicht die Geftalt, ift hier das erfte Erlebnis.
Und zwar der Gedanke nicht eines Betrachtenden, sondern eines Wollenden, also
eines Erziehers, faft eines Predigers. Denn der religiös-sittliche Einfchlag ift un--
verkennbar; die Bücher Anker Larsens haben eine „Moral", die merkwürdigerweise
zugleich als neu und als alt empfunden werden mag, wekl sie das Wirkliche vertieft,
bis es im Ewigen gründet: Dauer, Ordnung, Ehrfurcht sind die Erlebnisse, die seine
Freunde sich wünfchen und die sie dem „Raufch" des alternden Gefchlechtes entge-
genhalten, den Anker Larsen („Raufch." Aus dem Dänifchen übertragen von Cläre
Schmid-Romberg; Grethlein L Co.) mit der Mitleidlosigkeit des Wissenden als
Raufch kennzeichnet, das heißt als eine flüchtige, aber vergiftende Betäubung jener
Lebensfchwachen, die vor lauter „Erlebnissen" nicht mehr zu leben imftande sind:
„Die Eindrücke jagen sich so haftig, daß alles entweder etwas ift, was kommt,
oder etwas, was soeben vorbei ift. Das IeHt, das gesegnete, existiert nicht." Diese
Dilettanten des ErkennenS, des Liebens, des SchaffenS find ftets in Gefahr, „von
innen heraus zu faulen", wie die arme bezaubernde Merete, weil sie gesund und
krank, gut und böse nicht mehr zu unterfcheiden vermögen, weil ihrem Leben die
„Wurzelfreude" fehlt, weil sie nicht „Myftiker" sind, also „fchlichte, natürliche Men-
fchen..., denen das ewige Leben ebenso einfach und selbftverftändlich war, wie das
Dasein nun einmal ift. Die Fülle des All-LebenS ftrömte in sie ein und wurde da-
durch in ihnen zu Bewußtsein. Der Menfch ift das Leben, das ewige Leben, das
seiner selbft sich bewußt wird".

195
 
Annotationen