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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 5 (Februarheft 1932)
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Borchardt, Hermann: Russisches Tagebuch, [1]
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André, Hans: Stilgesetze pflanzlicher Formgestaltung im Lichte Goethescher Naturanschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0340

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Rüchlem HoftheaLeratmosphäre mischt sich in emzigartiger Weise mit der schon
ein wenig Patina ansetzenden revolutionären Tradition. Eine zweite, kleinere
Oper bietet schlechthin vollkommenen, intimeren Kunflgenuß. Die vorzüglichen
Stanislawsky-Theater pflegen abwechselnd Historie und ZeitsLück. Die in
Europa besonders beachteten und nachgeahmten Regie-Experimente nehmen in
Moskau nicht mehr den Rang ein, den sie etwa in der Berliner Perspektive
bis vor kurzem hatten. (Piscator hat übrigens mit einem kostspieligen Film-
regie-Versuch vor kurzem einigermaßen Fiasko erlitten.)

Jn Theater, Dichtung, Musik iß eine Blüte unverkennbar. Bekanntlich gibt
es auch neben der osfiziellen, ziemlich talentlosen Propagandaliteratur eine
mehr oder minder freie literarische Bewegnng, die lebhafte Debatten, gelegent-
lich politische Affären auslöst, aber sich neuerdings einer betonten Duldung
der obersten Stellen ersreut. Man ist offensichtlich bestrebt, aus einer allzu
krampfigen propagandistischen Enge herauszutreten und dem Lande wie dem
Auslande zu zeigen: man beginne sich sicher genug zu sühlen, um die Zügel
lockern zu können. Aber fallen läßt man die Zügel natürlich nicht.

-r-

Man macht das sehr geschickt, dieses Zügellockern.

Zn die modernen Stücke werden stets Ansprachen, Songs, Tendenzreden ein-
geschoben. Jn einer politischen Revue hält ein begabter Schauspieler eine
solche Zwischenrede. Er macht sich mit viel Witz und Unbefangenheit über
alles mögliche lustig, das die Moskauer ärgert: über das Anstehen, den büro-
kratischen Zopf, die Wohnnngsmisere, die Preise, das Verkehrselend, das
Pflaster, die Zugverspätungen, er spricht aus, was vielleicht mancher privatim
so deutlich kaum zu sagen wagt. Hat er dann das Kritikbedürfnis fast eine halbe
Stunde lang entlastet—dann kommt der Umschwung, seine Stimme wird hell
und freudig und das Ende ist ein Hymnus auf die Piatiletka. Worauf auf der
Leinwand die in dicser Woche Ausgezeichneken, die Udarniki erscheinen.

So greist überall Massenregie, Massenführung, Suggestion in Alltag und
Erholung. Aber es wird doch fühlbar (gerade in der Aufnahme dieser Revue
z. B., die eine hochpolitische, zum Teil sehr zynische Satire auf den Völker-
buud, die katholische Kirche, England, Frankreich, Amerika, unter bemerkens-
werter Schonung Deutschlands enthielt): das Znteresse für die Propaganda
erlahmt allmählich. Den stärksten Beifall hatten an diesem Abend, außer
einem vorzüglichen Komiker, der den Menschewik, den Kompromiß-Sozialisten
karikierte — zwei deutsche Artistenpaare. (Schluß folgt)

Stilgesetze gflanzlicher Formgestaltung
Lm Lichte Goethescher Naturanschauung

Bon Hans Andre

Pl^.s ist viel über Goethes Rtaturanschauung geschrieben und gestritten, ihr
^ZTiefsinn ist von anschaulichen Denkern oft bewundert oder ihr
nichr „wissenschaftlicher" Charakter von rein erakt vorgehenden Forschern
zur Ernüchterung festgestellt worden. Aber es iß selten mit Glück versucht
worden, eine eigenwertige Problemsicht Ln ihr zu entdecken, die,

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