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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 10 (Juliheft 1932)
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Kast, Emil: Julius Zerzer
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Wiechert, Ernst: Über neurussische Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0734

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kundige Austriazismen, das heimische Sprachgut ihres Gestalters, allenthalben
gewinnend getönt wird.

Iulius Zerzer wird kaum jemals große Mode werden. 2lber er sollte einen
großen Leserkreis um sich versammeln; denn in einer so zerklüsteten und ge-
rade im Geistigen auseinanderstrebenden Zeit können wir der stillen Wirker
am Webstuhl künstlerischer Bemühungen weniger denn je entbehren. Was kann
schließlich einer so bildungsbeflissenen (manchmal freilich erschreckend beflis-
senen) Rkatron wie der dentschen willkommener sein als ein Erzähler, der im
Zeitalter fast modischen Vergrämt- und Verbissenseins in stiller Bescheidung
anerkennt und beispielweisend übt: „die große Bejahung, ohne die
Lebendiges nicht entstehen kann".

Nachschrift

Im Frühjahr igzi erfchien Iulius ZerzerS bisher umfänglichstes Buch: „Di e
H e i m s u ch u n g", enthaltend vier Legenden: „Die Heimsuchung", „Die Kreuzab-
nahme", „Die Wolfganglegende", „Der Gnadenberg". 2Iuf die Gefahr hin, die
andern ungerechtfertigt zurückzusetzen, entfcheide ich mich für die „Wolfganglegende"
als die nach Vorwurf wie sprachlicher Form wesenhafteste. Sie faßt als Ergebnis
eines strengster Selbstzucht sich unterwerfenden KünstlertumS jene VerhaltenS- und
Gestaltensweise sinnenfällig im erzählenden Sprachkunstwerk zusammen, die in mei-
nem Aufsatz als ZerzerS Eigenart gemeint war: erwandertes Dichtertum. In den
Legenden entwickelt sich daS Geschehen auf dem Raum der oberösterreichischen Vor-
alpenlandfchaft; ihr Duft und die fchlichte Reinheit ihrer Menfchen werden von einem
sprachlichen Können wiederzugeben unternommen, das in dieser edlen Innigkeit, Kraft
und Redlichkeit in unserer Gegenwart nicht alltäglich ist. Man möchte auf Zerzers
neues Buch wie auf seine bisherige vorzüglich auf Verdichtung gerichtete künstlerifche
Eigenart den Rilkeschen VerS beziehen: „Die stillen Kräfte prüfen ihre Breite und
sehn einander dunkel an."

Der neue Gedichtband „V or den Bergen" zeigt alle Vorzüge Zerzerfcher Lyrik
im sprachlichen Gestalten wie in der Eindrmglichkeit des seelifchen Aufnehmens.
Wieder ist es daS Alpenvorland, das den Gegenstand dieses Naturfühlens ausmacht,
und ebenso vertraut ist dieses selbst, manchmal noch stärker wohl als früher, ein
sentimentalifch reflektierendes im Schillerfchen Sinne. Eine gelegentliche Freude am
Artistifchen (z. B. im Gedicht „Die vier Hunde") bringt wohl eine zu laute gedank-
lich-sprachliche AuSdrucksfracht, gemessen am Bedeutungsumfang deS tatsächlichen
Vorwurfs. Wiederum ist die Form des lyrischen Erlebnisgestaltens umfassend aus-
geboren und bewegend bewegt. So schmal der Band ist, so wertvoll zur vertieften
Wesenserkenntnis des Dichters, so gehalrreich ist er in sich selbst.

Über neurussische DichLung

(IsW^er die beiden erschütterndsten Darstellungen menschlichen LeidenS gelesen hat,
<^Z<)die wir seit der Iahrhundertwende besitzen: Dwingers „Armee hinter Sta-
cheldraht" und „Zwischen Weiß und Rot" — und jedermann sollte sie gelesen ha-
ben —, wird sich der grauenhaften Straße vom Ural zum Baikalsee erinnern, auf
der beim Zusammenbruch der Koltfchak-Armee Hunderttausende erfroren, verhun-

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