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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Wiechert, Ernst: Erzählungen
DOI Artikel:
Bauer, Clemens: Kapitalistische Wirtschaftsordnung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0880

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raden," sagte er, „nun fängt es an." Und er sah jeden Er'nzelnen von uns an
und nickte ihm langsam zu.

Die zweite Lage hörten wir schon, als sie nber den Kreidehängen war. Es
waren schwere Kaliber, und sie stürzten wie Häuser in einen heulenden M--
grund. Ilnd dann schrie es draußen, wie die KreaLur unLer dem Entsetzen
schreit.

Wiedegang war der erste. Er stnrzte hinaus wie zu einem Ertrinkenden. Es
war der Unteroffizier aus der Nüchbargruppe. Er lag am Birkenrand, und
seine Beine hörten bei den Knien auf. Wir sahen alle, daß es keinen Zweck
mehr haLLe, aber Wiedegang riß das Band von seinem BroLbeuLel und
schnürte das strömende BluL ab. DichL daneben im versengten Grase lag die
Schale aus Lindenholz, und Wiedegangs Llugen blickten in sie hinein. Er
sah nicht auf seine Hände, die gerötet waren vom strömenden Blut, sondern
auf das glaLLe fleckenlose Holz, und sein schweres GesichL war traurig und
erloschen.

Und dann hörten wir es über den Kreidehügeln henlen und schrien ihm zu.
Aber er richtete sich in den Knien auf und sah dem entgegen, das unsichtbar
sich über uns stürzen wollte. Wir lagen in die Erde gepreßt und sahen sein
GesichL wie in einem blassen Schein, aber es schten uns allen, als leuchte
dieser Schein wie im Licht einer Hoffnung, verzerrt, aber hell, des Todes
gewiß, aber ihm lächelnd zugewandt.

Es schlug vor uns ein, und die SpliLLer streiften uns so dicht, daß sie unser
Haar versengten. Ein Vogel schrie auf, mit heller, erschreckter Stimme, und
dann war es still. Wiedegang war auf sein GesichL gefallen, die Hände vor
sich ausgebreiLet, und aus seiner Brust ftrömte das BluL in die Schale aus
Lindenholz. Er lächelte, als wir ihn aufhoben. Er schüLLelte den Kopf, als
wir eine ZelLbahn unter ihn schieben wollten, und bat nur, daß man ihn
etwas anfrichte. Dann sah er in die blntgefüllte Schale, bis seine Augen
grau wurden. Er sagte nichts, kein WorL, aber er Lrug sein Lächeln bis in die
SchaLLen des Todes, und dort legte er es nieder.

Wir begruben ihn allein, ohne Pfarrer, nnd legten die Schale in sein Grab.
Wir haLLen nicht viel Zeit, aber bevor wir über die Kreidehügel gingen,
pflanzten wir einen Birkenstrauch in die frische Erde.

Wir sahen uns nicht mehr um, denn die Hügel vor uns dampften, aber es
war uns, als könne keiner von nns zurückkehren in das Leben der Menschen,
das hinter uns blieb.

KaplLalisilsche WirLschaftsordnung?

I. Der IrrgarLen der Begriffe

o vrel der Begriff „Kapitalismus" in Wissenfchaft und Publizistik gebraucht wird,
^—-7 so sehr ermangelt er eines klaren ZnhaltS. Und gar wo er zur Charakterisierung
konkreter Wirtfchaftszustände und -vorgänge benützt wird, fcheint er alle Bestimmtheit zu
verlieren. Neben dem Kapitalismusbegriff deö theoretifchen Sozialökonomen steht der des
Sozialpolitikers, und neben dem des Historikers der des Politikers. Sie alle zu-
sammen genommen ergäben, falls man sie auf ihre konstitutiven Elemente prüfte,
keinen sinnvollen Katalog von Begriffsmerkmalen, die einen zusammenschließenden

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