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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 9 (Juniheft 1932)
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Nabl, Franz: Kindernovelle
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Brock-Sulzer, Elisabeth: Übersetzungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0667

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nötigte Herr Buschmann mir überflüssigerweise die kleine N!ickeluhr des
Verunglückten zur Erinnerung auf. Weil der Iunge so au mir gehangen
habe, begrüudete er, und weil ich immer so gut zu ihm gewesen sei.

Das Merkwürdigste aber war mir, daß die erbeingesessenen alten Sommer-
gäste, diese eingeschworenen Hüter überlieferter Sitte, wenn sie auf den einst-
weilen allgemein bekanntgewordenen Vorfall auf dem Friedhof zu sprechen
kamen, nicht über die zweifelhafte Frau van der Bloom den Stab brachen,
sondern über Marta. Sie ergingen sich in den düstersten Vorhersagen sür
das künftige Schicksal des Mädchens und versäumten dabei nie, das unstatt-
hafte Zusammensein der Kinder auf dem BadeplaH rügend zu erwähnen,
dessen verhängnisvolle, aber begreifliche Folgen sie in allen Vorfällen zu
erblicken meinten.

ÜberseHungen

ie deutsche Neugierde französischem Wesen gegennber ist eine zwiespältige

<^^Sache. Sicher lebt in ihr viel gulec Hnnger dessen, der viel zu schafsen vermag,
aber noch mehr ist in ihr heute unerlaubte Selbstentäußerung eines sich selbst nicht
mehr ganz rvirklich empfindenden oor einem sich vorbehaltlos besitzenden Volke.
Und oft schlägt diese Selbstentäußerung gar aus in kranke Freude an der eigenen
Niederlage. Es tväre kein kleines Anzeichen deutscher Gesundung, rvenn die dentsche
Haltung vor französischem Wesen in all seinen Ausformungen sich durchfände zwi-
schen blind hetzender Abwehr und ebenso blind anbetender Hinneigung.

Bei Kiepenheuer haben Felix Bertaux und Hermann Kesten eine Auswahl „Neue
französische Erzähler" mit dem Untertitel „Das Buch des jungen Frank-
reich" herausgegeben und jener Gefahr der haltungslosen Anbetung insofern Rech-
nung getragen, als sie „die besten dichterischen Stimmen des jungen Frankreich
von friedlicher Gesinnung" vereinigten. Aber ist man in Deutschland wirklich schon so
weit, daß das Parteibüchlein nicht nur im Fnland die Dichter befördert, sondern
daß auch das Bild des Auölandes politisch purgiert werden muß? Es handelt
sich doch bei einer solchen Anthologie nicht um Dermittlung von politischen Urteilen,

sondern um die künstlerischer Werte. Sind denn all diese Dichter denkbar

ohne Barres, Peguy, Claudel z. B.? Die Deutschen sollten es doch den Franzosen
überlassen, von fremder Literatur nur das kennen zu lernen, was ihnen politisch in deu
Kram paßt. Die nicht seltene Unwürde in der Liebe des Deutschen zu fremdem

Wesen wird nicht aufgehoben dadurch, daß man die fremden Dichter mit Unschäd-

lichkeitsmarken auszeichnet und sie dann dem unmündigen deutschen Kind zum Spie-
len gibt. Wer sich selbst hat oder auch nur wahrhaftig sucht, der kann auch dem
andern als einem Ganzen entgegentreten.

„Das Buch des jungen Frankreich"! Ein bedeutender Anspruch, der hier erhoben
wird, namentlich wenti man bedenkt, wievielen redaktionellen Schwierigkeiten neben
allen anderen eine Anthologie begegnet. Die Betonung ruht durchaus auf dem
Begriff des Iungen. Es soll hier, wie in dem gescheiten Vorwort Bertaux' er-
klärt wird, endlich einmal das herkömmliche Bild Frankreichs als des Landes
klassischer Weltergreifung erschüttert werden, und das andere Gesicht, das so sehr
vom großen Krieg gezeichnet ist, enthüllt sein. Aber in diesem Bestreben verfallen
die Herausgeber nun dem anderen Extrem, es finden sich in ihrem Buch nur Dinge,
die das Zeichen — oder das Abzeichen? — des Aufbruches, der Wendung tragen.
Das Wort Gides: „Man darf keine Gesetze haben, um auf das neue Gesetz hören
zu können" wird Gesetz. Und so vernehmen wir in den sehr schönen Seiten von
Gide nur die Stimme seiner dionysischen Welthingabe, nicht aber den zarten
 
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