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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1932)
DOI Artikel:
Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch ; zweites Stück
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0858

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Kleine Reise

2luS einem Tagebuch
Zweites Stück

Von Paul Alverdes

Lugano am 7. Juni 2A

E>>rwachte schon sehr srüh am Morgen und hörte das helle LäuLen erner
^^Schiffsglocke und das LakLmäßr'ge Schlagen und Schaufeln der Räder
eines Dampfers, das sich allmählich enLfernLe. Der Morgenwind blähLe die
leinenen Vorhänge im offenen Fenster, sie baufchLen sich und knaLLerLen wie
Segel, dann hingen sie wieder ftille herab, und ich laufchLe der Kielwoge des
Dampfers nach, wie sie nun an den Kaimauern draußen aufzischLe und zer-
rann, und wie sie die BooLe an ihren KeLLen rüLLeln machLe und gegeneinander
warf, davon ein dumpfes PolLern und Dröhnen den SLrand enLlangfuhr und
sich ins WeiLe verlor. Die Sonne schien schräg und bleich herein und begann
schon zu wärmen, als ich mich ins Fenster lehnLe, um nach dem See und
den Bergen zu blicken. Ein zarLes Blau des wolkenlosen Himmels, ein Lieferes
Blau des vom Winde sanfL gekämmLen Wassers und der kühle, frische Ge-
ruch der LufL verhießen einen fchönen Tag.

2luf der cklferftraße unter den Kastanien war es noch einsam. Ein Mann in
einem weißen Drillich-Anzug, auf dem Kopf einen GärtnerhuL aus weiß
und grün gemusterLem SLroh, miL einem blitzenden Schild daran, kehrLe
den Weg, wobei er seinen Besen wie eine Sense schwang; ein anderer fuhr
miL einem kleinen Sprengwagen hinLer ihm drein, aus dessen rotlackierLem
Kessel er Wasser streute. Anch die HausknechLe, in seidenen Ärmelwesten und
grünen Schürzen, waren miL Gießkannen und kleinen Schippen vor den Ein-
gängen ihrer Häuser schon LäLig; Bäckerjungen, mehlbestäubL und die Hem-
den bis znm GürLel herab aufgeschlagen, radelLen hin und her; sie Lrugen
riesige Tragkörbe voller Semmeln auf dem Rücken, und ihre nackLen Füße
fteckLen in kleinen ledernen Pantoffeln. MiL breitschiffigen zweirädrigen Kar-
ren rumpelten dann die Qbsthändler und die Gemüsefrauen ihres Weges zum
Markte daher, von einer kleinen Kolonne von Eismännern gefolgt, die ihre
weißen Wägelchen mit den braunen Sonnendächern ftnmm und eilig hinter-
einander herschoben und sich gegenseitig nichts GuLes zu wünschen schienen.
Die landeinwärts gewölbte FronL der HoLels entlang war es noch nächtig
still, und die leeren Riegel neben den geschlossenen Fensterläden warsen lange
SchaLLen auf die weißen Mauern. Aber jetzL bewegte sich einer doch, sachte
begann er miL den Fächern zu blinzeln, dann schwang sich der untere Flügel
nach außen, und ein nackter weißer Frauenarm LauchLe aus der Finfternis
darunter hervor, um ihn in seiner Schräge festzulegen.

Ich wusch mich und rasierte mich voller Ilngeduld, nur hinauszukommen,
aber zugleich fand ich mich darauf versessen, mich just hier in der Fremde
so glaLL und makellos wie nur möglich zu schaben, und so währte es nur
desto länger. Darüber wollLe mir der Vers von Eichendorff nichL aus dem
Ohr: „Wer in die Fremde will wandern / Der muß miL der Liebsten
gehn / Es jubeln und lassen die andern / Den Fremdling alleine stehn."
Allein während ich noch die Melodie unLer dem Schaum hervorblies, begann

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