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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 4 (Januar 1932)
DOI Artikel:
Grätzer, Franz: Blick auf das Theater, 2: Theater der Großen Koalition
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Linfert, Carl: Xaver Fuhr
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0301

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2lls aber dessen stummer Vorfahr das TheaLer so wer'L desorganisierL zu
haben schr'en, daß Mar NemhardL zeiLweilig sein Werk im SLich und an
Abgrundsrand „holländern" ließ, da schrieb dem Scheidenden Carl Heine, der
kein maßloser Opkimist, doch der zweiLbeste Mann war, WorLe nach, wie
sie durchaus für das unsterbliche TheaLer an sich gelLen können: „In dem
BewußLsein geLrost, daß hier eine KrafL wirkL, die sich immer wieder weiLer
enLwickelL, neu entwickelL, uns immer wieder überraschen und immer wieder
bereichern wird".

Der KulLurpessimismus ist unfruchtbar, das Abendland ist nichL unLerge-
gangen, und auch das TheaLer pflegL seine Leichenredner zu überleben. Die
BluLvergifLung braucht ihre Zeit. Aber die ZeiL soll nicht die BluLoergif-
Lung mißbrauchen.

^aver Fuhr

wollen einen Umriß und eine Beschreibung dessen geben, was die Bilder
^on ZLaver Fuhr ausmachen. Es soll diesmal nicht auf die Fraqe ein-
gegangen werden, ob es „genug" ist, wenn Fuhr nur ein destruktives Bild der
Landschaft gibt. Vielleicht haben gerade die konstruktivistischen, horizontbefreiten,
phantasiereichen, aber „unmenschlichen" Bildräume PicassoS und erst recht daS
skeptisch fragende, abreißende und die anerkannten optischen „Wirklichkeiten" ent-
stellende Wiedereinsehen der „Natur" in die Konstruktion, wie es die Surrealisten
unternehmen, einen Aufgabenbereich erschlossen, der unbedingt bis zum letzten Winkel
durchmessen werden muß. Mir wenigstens scheint dies nötig zu sein. Denn nur
auf diesem Wege wird die alte „Bild-Natur" unS die Dmge unserer llmwelt so
herausgeben, daß sie etwas von unserem durch vielerlei Reaktionen verdunkelten
Lebensraum betreffen. Das bloße Nundum der Sachen, dem die neuere Malerei bis
zum Konstruktivismus nachging, genügt nicht mehr. Aber anch der Konstrukti-
vismus gab nur das Vorspiel mit den Elementen eines neuen bildformenden Blicks.
Jetzt muß man dahinter greifen, da die Oberfläche nichts mehr durchläßt. Der
Surrealismus begann damit. Vieles ging in Trümmer und wird auch in dieser
W ise gezeigt, die durch die Bilder der Surrealisten deutlich zu belegen ist. Die
bloße Benennung von Tatbeständen, das Einzige, was die Dinge heute noch
gutwillig der Anschauung preisgeben, ist zu unscheinbar geworden, als daß man
sie dafür schonen könnte. Man muß sie verfolgen, aufbrechen, aus ihren verjährten
Zusammenhängen reißen, ihnen neue Tatbestände zumuten. Dann löst sich auch
das einfachste Ding aus dem Raum, in dem es früher gewesen ist, und bietet uns
unvermutete Durchblicke. So kann uns das Ding wieder begegnen, das heute
stumpf und undurchschaut die ungenauen Geister bedrängt und ihnen aufsitzt.
Eben diese neue Distanzierung unternimmt der Surrealismus, indem er die Reali-
tät verwirrt, um sie in einem neuen, sich erst sammelnden Niederschlag zu zeigen.
Fuhr scheint weniger zu leisten, denn seine Bilder haben nichts Konstruktives, zu-
gleich aber genügen sie nicht den optischen Reizansprüchen des heute grassierenden
Spätimpressionismus. Es liegt etwas Hartes in ihnen, das manche mit dem Wort
„Manier" zu tadeln versuchen, aber wohl kaum als „Abstraktion" verdächtigen. Es
scheint also, daß diese Bilder doch ein Gesicht der Dinge liefern, das — unauS-
gesprochen — mit der den Surrealisten erwünschten neuen Weltvorstellung zu-
sammenhängt. Ob Fuhr mit seinem Thema der zerstörten Natur weit genug in
ein neues Sehfeld vordringt, ist eine Frage, die wir bei späterer Gelegenheit ein-
mal ausdrücklich stellen werden. Heute begnügen wir uns, das Gebiet der Fuhr-
schen Bildform zu umreißen.

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