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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 4 (Januar 1932)
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Grätzer, Franz: Blick auf das Theater, 2: Theater der Großen Koalition
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0300

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Bab. ReinhardL hat sich gegen Hauptmann nnd Strindberg und Tolsioi nichk
gesiräubL, solange sie bessere dramaLische Subsianz boLen als Maugham
und BourdeL und „ArLisien". Aber soll ihn die markLgängige ReporLage
reizen, die sich als Rkeue SachlichkeiL verkappL, oder muß er unbedingL an
dem „Kreuzweg" warLen, der des Ex-Expressionisien Zuckmayer „Durch-
bruch zur WirklichkeiL" (von AlL-Heidelberg, o kluger, irrender Paul Fech-
Ler!) vollzogen siehL? Isi er verurLeilL, die weiland EksiaLiker Hasenclever,
CorrinLh, Rehsisch in Sudermanns Gefilde zu siarLen? Fände er morgen
zu Barlach: es wäre mehr und es wäre genug.

„Spiel am Abgrund" nennL ArLhur Ernsi RuLra eine höchsi geschickLe SLreiL-
schrifL*, in welcher ein DramaLiker etwas gar zu hestig den BerdachL ab-
wehrL, Rancune habe ihm die Feder geführL. Auch hier isi der Betrieb
durchaus nichL unwahr gekennzeichneL; und doch bleibt die Mischung von apo-
kalyptischem PaLhos und säuerlicher Ironie im letzten ohne Durchschlags-
krast. Isi wirklich der „FachdramaLiker" der große Schädling, wenn er,
wie der Strasanwalt Alsberg, ein sauberes Gebrauchssiück aus das — nun
einmal ohnedies mißversiandene — „ZeiLLheaLer" siellL? Kann ZeiLLheaLer
überhaupL etwas anderes sein als ParLeiLheaLer, und haben nichL Lausendsach
rechk der ehrliche Tendenzdramatiker Friedrich Wols, der „Kunsi isi Waffe"
predigL, und der Regjsseur PiscaLor, der redlich die rote Fahne hißL? Zeit-
LheaLer, das der politischen EnLscheidung ausbiegL, das, konjunkturgefällig,
nichL die rote und nichL die weiße, sondern gar keine Farbe bekennL, bleibt
eben, solange es nichL den großen DichLer gefunden hat, sensationeller Iour-
nalismus.

Das Schema isi allzu geläufig: ErwerbslosigkeiL des VaLers, Hunger der
MuLLer, Schlafburschenelend als Berderb der TöchLer, ProstiLuLion als
Zuflucht der Söhne — und siaLL der KrafL, die WelL zu verändern, nur das
KrafLworL, die häufige Übersetzung des kriegsgewohnten „rnorclo". Keine
Rebellion; sondern Blachfeld für eitle, unappeLitliche Fingerübungen des
Herrn Bruckner, der sich an WelLbrandslava die ZigareLLe anzünden möchte.
Versiegt isi der Bronnen, der die Wegsucher zur Linken labte, seitdem er
zur RechLen sprudelL und nichL mehr sirudelL. Herr BrechL und Herr LerneL-
Holenia sozialisieren Diebsiahl zum Eigentum. Geschicht-Bilderbogen sind
auf der Börse nichL mehr gefragL, Kriegssiücke nur, wenn sie „Die andere
SeiLe" zeigen, und dann eben nichL um ihres KunsiwerLes willen.

Das Drama soll episch und dokumentarisch und sachlich und zeitrhyLhmisch
und dann, nach RuLra, nicht einmal langweilig sein. Aber, ach: wo ihrs
packL, da isi es nichts weniger als inLeressanL, und die TheaLerwelL, die schon
der selige Holzbock (wo sind die neLLeren Schmöcke von einsi!) immer miL
dem WelLLheaLer parallelisierLe, debaLLiert über die Schuldfrage. Bühnen-
vertrieb und dramaturgische AbLeilung des Warenhauses, Werbeleitung und
BuchhalLung werfen sich den Fangball der Lllleinschuld wechselseitig zu,
und ein Bölkerbund von Gnaden des Pressehauses präsenkierL sich machtlos.
Derweilen aber isi, unenLwegt, der NkenschheiL Würde in der obdachlosen
Dichter Hand gegeben. Berrina geht, wie in Schillers angeblichem Zeit-
LheaLer, zum Andreas, und der grollende DramaLiker zum Tonfilm.

' Bei H. F. S. Bachmair in München erschienen.

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