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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Picht, Werner: Verstehen inter nationes
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0109

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Lnn8nxur XXXXV.

Ver^ehen inler nationes

Von Werner Picyt

^S^ie Vernunft ist in unseren Tagen in Mißkredit geraten. Zu den man-
eherlei Desillusionen, in die das Zeitalter von 1789 bis 1918 ausge-
mündet ist, gehört auch die, daß man das Vertrauen in die ratio als Füh-
rerin verloren hat. Von dem Glauben Voltaires — ,Ps boi s la rsi^on
üumsino, Iscsnsllo oonimonco s 8v ctsvolo^yer clsn8 Is rnonäe" — ist ebenso-
wenig geblieben wie von dem elemenkaren Pathos seines Gereehtigkeitssinns:
unsere Hände sind leerer als die des großen Skeptirers.

Aber trotz der Hinwendung zum Irrationalen, troh des Hinhorchens nach
den dunklen Ämellen intuitiver Erkenntnis und nicht vom Geist her ersolg-
ter Gesühls- und Willensbestimmung ist in uns ein erstaunlicher Rest
von Ausklärungsogtimiemus lebendig. Wie es denn ein Charakteristikum
des nicht aus der Mitte lebenden Menschen der Gegenwart ist, daß
er ahnungslos die heterogensten Elemente in sriedlichem Nebeneinander in sich
beherbergt. Daher wirkt ost als unwahr, was subjektiv durchaus ausrichtig
ist und in seiner ungereimten Konstellation nur einen geringeren Echtheitsgrad
seiner Träger kennzeichnet.

Dieser mit dem Verlust des Glaubens an die Vernunst wurzellos gewordene
Ausklärungsoptimismus hat sich aus der yrivaten Sphäre zum mindesten
der Gebildeten längst zurückgezogen, insoweit ihr gersönliches geistiges Leben
in Frage steht, und das geniale Untersangen etwa eines Albert Schweitzer,
durch eine Fortsührung und Bollcndung des Rationalismus eine Erneuerung
unserer Kulknr herbeizusühren*, wirkt als heroischer Anachronismus, aus den
sich das zeitgenössische Denken nicht einläßt. Das eigene Schicksal vertraut
man dem leckgewordenen Fahrzeug nicht mehr an, die Subßanz des Fch nährt
sich aus anderen Stossen. Aber das hindert nicht, daß dieser selbe Geist
im össentlichen Leben in imgosanten Rollen gesgenstert (im Ilnterrichtswesen,
iu der Volksbildung — man denke an die aus das Radio gesehten Hossnun-
gen —, im Iournalismus und anderwärts).

Jn diesem Zusammenhange nur ist die a 1a rnocls-Bewegung zur Förderung
des Berstehens inter uations^ zu begreisen, wobei hier noch ein ganz be-
stimmter Anlaß hinzukommt.

Fm Weltkrieg, dem ersten Krieg, der mit dem ganzen Apparat der Demo--
kratie gesührt wurde, hatte man aus die Mobilisierung der össentlichen
Nueinung durch Entstellung des Gegners nicht verzichten zu können ge-
glaubk, und die Wirkung dieser Ausklärung mit umgekehrtem Vorzeichen

* Albert Schweitzer, Kulturphilosophie. Bd. I: „Versall und Wiederaufbau der Kultur."
Bd. II: „Kultur und Ethik." Verlag C- H. Beck, München 192z.

Novemberheft igzi (XXXXV, 2)
 
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