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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Picht, Werner: Verstehen inter nationes
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0110

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galt es mit gleichen MitLeln wieder aufzuheben — eine unabweisbare
Aufgabe, die auch heute noch bei weitern nicht gelöfL ifi. Hier aber gerieL man
aus eben dem undurchdachLen und undurchbluLeten Pseudoglauben an die
MachL der Aufklärung, von dem oben die Rede war, und der vor allem
deuLfcherseiLs durch eine dem AeiLgeifL enLfLammende Überfchähung des Psvcho-
logifchen verfLärkL wnrde, auf einen 2lbweg. HaLLe man den Gegner als den
Teufel au die Wand gemalL, so wäre es nun zur KorrekLur der öffentlicheu
Meinung nicht nur ausreichend, sondern das einzig Wirksame gewesen, wenn
man dieses Bild ausgefLrichen und der BinsenwahrheiL die Ehre gegeben
hätte, daß nämlich der da drüben ein Menfch ifL und immer gewesen ifL
„wie wir", so daß ein WerLunLerfchied grundsätzlich nicht befLeht, wie ver-
fchieden auch die sonstigen Merkmale sein mögen.

Diese lapidare Feststellung, von den für die naLionalen Gefchicke Verant-
wortlichen gemacht, häLLe überzeugend gewirkt und eine verhältnismäßig
rafche Entgiftung der Atmosphäre herbeiführen können. Sie häLLe freilich
auch den MuL zur eigenen Desavouieruug vorausgesetzt. StaLL dessen hat
mau die Sache den IntellekLuellen überlassen, und diese haben sich darangemacht,
in redlichem Bemühen für ein gegenseitiges Sichverstehen der Völker zu wir-
ken, was der Staatsmann wiederum als eine willkommene Hilfe seines
Strebens nach Wrständigung begrüßte.

Es ist bei der BerfchwommenheiL des Sprachgebrauchs nichL überflüssig, sich
daran zu erinnern, daß „Verstehen" und „Berständigung" keineswegs das
Gleiche bezeichnen*. Das Verstehen kann die Verständigung erleichLern. Aber
es ist durchaus nicht die Voraussetzung für diese, dem „Verstande" näher-
stehende AkLion**. Denn man verständigL sich unter Menfchen wie ITakionen
ja nicht, weil man den anderen verstehL (was auf der psychologifchen Ebene

* Der Gradunterschied in der VerschiedenheiL der Begrisssbildung im Deutschen, Fran-
zösischen und Englischen ist äußerst ausschlußreich. Jm Englischen deckt dasselbe Wort

„unclsrstLncling" (to bccvs sn unclsrst^ncling Lor, to corns to ccn unclsrstanclinA vritlr) beide
Bedeutungen, so daß man zur Bezeichnung der Derständigung mit dem ehemaligen Kriegs-
gegner zu dem gesonderten Begriss der „rsconoilistion", der „Wiederaussöhnung" ge-

gristen hat. Jn dem logisch klareren Französischen ist die Scheidung in comprsnclrs, com-

prsbsnsion, und s'sntsnclrs, sntsnts eine vollkommene. (Jm politischen Sprachgebrauch

hat das Wort „sntsnts" bekanntlich die weitergehende Bedeutung des Bündnisses oder
einer dem nahekommenden Bindung, während dem ehemaligen Kriegsgegner gegenüber von
„rgpprocbemsnt" gesprochen wird.) Jm Deutschen endlich haben wir zwei Begriste, die
nahe genug benachbart sind, um in einer dynamischen Beziehung, einem fruchtbaren, aber
auch verwirrenden Spannungsverhältnis zu stehen.

** Ein Beispiel aus ungezählten sür dieseS heute zum Gemeingut gewordene und nicht un-
gefährliche Dorurteil sindet sich in der Rede, mit welcher der Präsident der Deutschen Hoch-
schule für Politik, Professor Jäckh, igzo die III. Franksurter Mademie der D. H. s. P.
eröstnete. Das Thema war „Das heutige Frankreich", veranschaulicht durch sranzösische
Politiker, Wissenschastler und Wirtschastler — während zu gleicher Zeit in einer Parallel-
veranstaltung in Paris „Das heutige Deutschland" von Deutschen dargestellt wurde. Also
eine ebenso typische wie bedeutende Veranstaltung zur Förderung des gegenseitigen Ver-
stehens, die eingeleitet wurde durch Aussührungen über das deutsch-sranzösische Verständnis,
in denen es heißt: „Ich sage noch nicht ,Verständigung^, sondern nur erst ,Ver-
ständnis^", und später: „Da tut vor aller künstigen Verständigung — wahrhastig zunächst
Verständnis not!" (Vgl. Berichte der Deutschen Hochschule sür Politik, Bd. VIII, Hest ii,
S. 171.)

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