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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 11 (Augustheft 1932)
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Linfert, Carl: Französische Kunst in London, [1]: aus Anlaß der großen Ausstellung n der Königlichen Akademie
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0823

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ihre Haltung verdankt. Wie ja überhaupt die schlanke Dinglichkeit und goldene
DurchhiHllNg der venezianischen Farben aus dem Bellinikreis in die französischen
Bilder vom Anfang des 16. Jahrhunderts eindringt, etwa in die alttestamentari-
schen Figuren vor dünnluftiger Landschaft (Slg. Durlacher, London) und die blau
durchglänzte Anbetung aus Avignon. Hier ift dann auch der Naturblick so ftill
und ohne Haft, als ob die fcheue, zerrissene Naturberührung deS Mittelalters nie
getoesen tväre. Doäh diesen AuSgang der Augen in die Natur haben die Fram
zosen im geheimen stets besessen. Merktvürdig, tvie sie ihn zu zügeln verstan-
den: denn auch in der glatteften Schaubarkeit dieser frühen Bilder ift eine eigene
Formsprache deutlich enthalten; nur ift sie sedesmal durch den französifchen Klar-
blick, der allem Wirklichen von seinem Getvicht etwas nimmt, zu jener Eleganz
geglättet, die nun auch der Form selber etwas von ihrem Gewicht entzieht. So mag
einem wohl der Einfall kommen, daß in Frankreich Kunftform und Formreiz der
Naturdinge oft täuschend ähnlich und fast auswechselbar seien. Aber um so sonder-
barer bleibt eS nun, daß französische Kunft nicht einfach dem „Naturalismus" und
seiner Formlosigkeit verfiel. Sie ift vielmehr künstlich und übermäßig sinnlich zu-
gleich. Das wird immer ein Rätsel sein, wie sich hier die weite Sanfthei-L einer
gedämpften, aber mit völlig offenen Sinnen aufgesogenen Natur mit der reinen
und Lrotz aller Regelhaftigkeit leichten Formdichte französifcher Kunft zu einigen
vermochte. (Schluß folgt) Carl Linfert

Umschau

Der Leerlauf des Parteienkampfes

ie geringe Fähigkeit des deutschen
DolkeS zur Selbftgestaltung erzeugt
an den verschiedensten Stellen Schuld-
gefühle. Jm Grunde fühlen sich alle
Harteien und Gruppen, die in der poli-
tifchen Aktion ftehen, mitfchuldig an der
politischen Geftaltlosigkeit der Nation.
Diese Schuldgefühle werden verdrängt,
und dafür werden Vordergrundmotive
des politifchen Handelns — meift ne-
gativer Art — überbetont, und zwar
um so heftiger, je stärker jene verdrängten
Schuldgefühle sind, je weniger wicklich
klare fchöpferifche Borstellungen dem po-
litischen Wicken einer Gruppe oder Par-
tei zugrunde liegen. Man kann gerade-
zu von einem Gesetz der politischen Agi-
tation sprechen, das hier vorliegt, und
das um so mehr hervortritt, je weniger
klare Ziele in einer Nation vorhanöen
sind. Das deutsche Volk ift in dieser
Lage: es ist in eine solche Fülle von Ab-
hängigkeiten, von unsicheren Schicksals-
faktoren hineingeftellt, daß die stärkfte
politische Phantasie immer wieder ins
Leere stößt, sobald sie einen bestimmten
Weg einzuschlagen beginnt.

Gerade diese Abhängigkeit von außen,
im Zeichen der Weltkrise doppelt fühlbar,

wäre leichter zu tragen und zu meistern,
wenn sie gemeinsam getragen und
bekämpft würde. Und im Grunde ver-
einfacht sich das Programm selbst sehr
entgegengesetzter Gruppen und Parteien
sofort, wenn man erst einmal anfängt,
alle Forderungen auf ihre letzten Wur-
zeln zurückzuführen. Dann münden alle
Parteiprogramme — von den Gruppen
abgesehen, die sich einfach den poltti-
fchen Borftellungen des AuslandeS un-
terordnen, wie die Russen- und die
Franzosenpartei in Deutfchland — in
einige wenige große Grundforderungen.
Aber den letzten grausamen Hintergrün-
den des deutschen Schicksals sehend ge-
genüberzuftehen, das erfordert eine An-
spannung, deren nur eine Minderzahl
ständig, die Allgemeinheit kaum in Feier-
ftunden fähig ift. Bei einem Bolk in
unserer lebensgefährlichen Lage wird
zwangsläufig die Neigung überwiegen,
diese letzten Hintergründe und Abhän-
gigkeiten nicht zu sehen nnd sich durch
Bordergrundmotive des politischen Den-
kens und Handelns a b lenken zu lassen.
So bleibt der vielberufene Primat der
Außenpolitik zunächft eine ideale For-
derung. Den stärksten Werbeerfolg wer-
den immer die Parteien und Gruppen
haben, die — zumal auf Negationen

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