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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1932)
DOI Artikel:
Borchardt, Hermann: Russisches Tagebuch, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0516

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Russisches Tagebuch

Von Peregrinus
(Schluß)

en amerikanischen Jngenieur kraf ich später in Moskau im Hotel wieder,

ganz GkobetrotLer von vielen Graden, dabei völlig im Gewirr der russchchen
amtlichen und persönlichen Beziehungen zu Hause.

Im übrigen sind die amerikanischen Spezialisken nicht der Ersolg, den man
erwartet hatte. Sie waren ein, zwei Iahre die große Hofsnung der Trustleiter.
2lber sie finden nach verschiedenen Berichten nicht immer die richtige Form
für den Umgang mit den Arbeitern und vermögen sich in das Arbeitstempo
Rußlands nicht einzufühlen. Außerdem ist ihnen vielfach ihre allzuweit ge-
triebene Spezialisierung in einem Lande hinderlich, in dem viele Lechnische
Behelfe fehlen und eine geradezu universalistische Befähigung durch die Ber-
hältrüsse gefordert wird.

Im allgemeinen sehen sich die deutschen Spezialisten besser durch. Es ist unge-
mein reizvoll zu beobachten, wie das Leben und Arbeiten in Rußland ans deut-
schen Technikern und Architekten in verhältnismäßig kurzer Zeit einen neuen
Typus macht; wie es diesen deutschen Intellektuelleu, soweit sie Erfolg
haben, gewisse Fähigkeiten anerzieht, die dem Durchschnittsgebildeten in
Deutschland völlig abgehn: psychologisches Einfühlungsvermögen in fremde
Art und zugleich ein festeres Verharren im eigenen Wesen; also genau die
Eigenschaften, die der geboreue Grenzdeutsche vielfach dem Binnendeutsck>en
voraushat. Man zerbricht sich viel den Kopf über die Frage, ob wir recht
daran tun, unsere deutsche Kraft für die russische Industrialisierung mit
ihrem militärischen Hintergrund zur Berfügung zu stellen. Von den letzten
Fragen der großen Politik abgesehn, die sreilich im Llugenblick vermöge der
russifch-polnischen und russisch-französischen Verhandlungen in ein seltsames
Zwielicht geraten sind, ist nur eines festzustellen: die 2lrbeit der Deutschen
ist in Rußland, und zwar nicht nur in den führenden Schichten, sondern im
ganzen Bolke, wieder zu hohem Ansehen gelangt. Eine feinfühlige und stille,
vermittelnde Tätigkeit der deutschen Bertretung in Moskau, der es in ge-
wissem Sinn zugute kam, daß die russischen Fragen seit Rapallo und nament-
lich seit dem Beginn der Stresemannschen Politik abseits von großen Aktionen
der Reichspolitik blieben, hat das ihre dazu getan, daß sich die wirt-
schaftlichen Beziehungen, über deren rein wirtschaftlichen Ertrag noch
nicht das lehte Wort gesprochen ist, jedensalls psychologisch und kul-
turell nach bester Möglichkeit auswirken. Und das, obwohl die von
Rayallo sich herleitende Konzessionspolitik mit wenigen 2lusnahmen, unter
denen die deutschrussische Saatgntgesellschaft (Drusag) im Kubangebiet die
wesentlichste ist, verkümmert und versackt ist. Bon den unvermeidlichen
Menschlichkeiten und Neibungen abgesehen, haben die deutschen Spezialisten
gut für den deutschen Numen in Rußland gewirkt.

Wie sich diese Frage in der nächsten Znkunft gestalten wird: das ist ein sehr
ernstes Problem. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland verleitet deutsche Tech-
niker und Arbeiker zu sehr schlechten Bedingungen, ohne Balutazahlungen, also
ohne die Möglichkeit, auch nur den geringsten Betrag zu sparen und auszu-

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