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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
DOI Artikel:
Hesse, Hermann: An einen jungen Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0180

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Lnn8r^vki? XXXXV.

2Ln einen jungen Dichter

Von Hermann Hesse

ür Ihren hübschen Brref und die Zusendung Ihrer Gedichte und Er-

zählungen sage ich Ihnen Dank, Ihr Brief spricht ein Verkrauen aus,

das ich leider enLLäuschen muß. Auch wenn ich nichL augenleideud und
Läglich miL einer allzu großen Briefgosi beladeu wäre, müßLe ich es enL-
Läuschen. Denn was Sie bei mir suchen, das habe ich nichL zu geben.

Sie legen mir Ihre DichLerversuche vor und biLLen mich, sie zu lesen uud
Ihnen nach der LekLüre zu sagen, was ich von Ihrem dichLerischen TalenL
halLe. Sie biLLen mich um strenges TlrLeil und aufrichLige Aussprache, miL
Schmeichelei ist Ihuen nichL gedienL. Ihre Frage lauLeL, auf eine einfache
Formel gebrachL: Bin ich ein DichLer? Bin ich begabL genug, um das RechL
zu haben, Dichtungen zu veröffentlichen und womöglich das Bücherschreiben
zu meiuem Beruf zu machen?

Ich würde nichLs lieber Lun, als die bündige Frage bündig beantworten. Das
ist aber nichL möglich. Ich halte es für vollkommen unmöglich, aus Proben
eines Anfängers, den man nichL persönlich sehr genau kennL, irgendwelche
Schlüsse auf seine dauernde Eignung zum DichLer zu ziehen. Ob Sie TalenL
haben, das läßL sich schon ersehen, aber TalenL ist nichLs SelLenes, es wimmelL
von TalenL in der WelL, und ein junger Mann Ihres AlLers und Bil-
dungsgrades müßte geradezu unter normal begabL sein, wenn er nichL fähig
wäre, annehmbare GedichLe oder Aufsätze zu schreiben. Ferner kann ich aus
Ihren ArbeiLen wcchrscheinlich sehen, ob Sie Nletzsche oder Baudelaire gelesen
haben, ob der oder jener heutige DichLer cmf Sie gewirkL haL: ich kann auch
sehen, ob Sie einen schon an Kunst und N^aLur gebildeten Geschmack besitzen,
der jedoch miL der dichterischen Begabung nichL das mindeste zu Lun haL.
Günstigenfalls (und das würde sehr für Ihre Verse sgrechen) kann ich auch
Spuren Ihres Erlebens entdecken und versuchen, mir ein Bild Ihres Charak-
Lers zu machen. Mehr ist nichL möglich, und wer Ihnen versprichL, aus
Ihren AnfängerarbeiLen Ihr literarisches Talent oder Ihre Hoffnungen auf
eine DichLerlaufbahn zu Larieren, der ist ein recht oberflächlicher Mann, wenn
nicht ein Schwindler.

Sehen Sie: es ist nicht eben schwer, nach der Lektüre des Faust GoeLhe für
einen bedeutenden DichLer zu erklären. Nckan könnte aber sehr wohl aus
GoeLhes Anfängerjahren, und auch noch aus seinen späteren, ein HefL Ge-
dichte zusammeustellen, aus denen niemand etwas anderes zu schließen fände,
als daß der junge Autor seinen GellerL und andere Borbilder brav gelesen


Oezemberheft igzi (XXXXV, z)
 
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