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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
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Homberger, Otto: Gedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0183

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Gedanken

Von Otto Homberger

in Volk hak anf seine großen Geister nur so viel Recht, als es ihre Gedanken
verwirklicht.

Das Nbermaß wissenschastlicher Betrachtnng hat in den Deutschen ein Übermaß
von Bewnßtheit und eine ubermäßige Schätzung des Unbewußten hervorgebracht.
Und nun meinen sie, in bewußter Weise Unbewußtes schassen zu können. Welche
Altklugheit! ,

Sind die Deutschen Jdealisten, weil die deutsche Wirklichkeit so form- und farblos
ist — oder ist die deutsche Wirklichkeit so unbesriedigend, weil die Deutschen sich
nichts aus ihr zu machen wissen?

Glucklicherweise ist der Deutsche ein Systematiker, aber kein Fanatiker.

Die Deutschen sind nicht demonstrativ, aber argumentativ.

Der Franzose ist der Allerweltsvulgarisator, der Deutsche der Allerweltskommen-
tator. ,

Einst hieß daS deutsche Jdeal die Freiheit, heute heißt eS Ordnung. Die Freiheit
ist ein aristokratisches, die Ordnung ein demokratisches Jdeal.

Nur im Deutschen ist das Gewissen mit der Gewißheit so eng verwandt. Die
übrigen Sprachen begnügen sich mit der Berwandtschast von Gewissen und Wissen.

Der Deutsche dient, aber ist nicht demütig.

Keinen Scherz verstehen — charakteristische deutsche Redeweise: der deutsche Ver-
stand ist ein ernsthafter Verstand.

Bei den handeltreibenden Engländern hat das deutsche Wort Kraft (erskt) den
Sinn von List und Betrug bekommen.

Der Jnhalt deS deutschen Lebens ist nicht das Leben, sondern das Begreifen.

Deutschland kommt mir manchmal vor wie eine Frucht, welche sich allzu spät ent-
wickelt hat. Sie könnte noch reifen, wenn nicht der Winter hereinbräche.

Jn den Deutschen ist mehr eigner Sinn, aber auch mehr Eigensinn als in andern
Völkern.

^n Deutschland hat ein jeder sein individuelles Vorurteil, in welchem er ganz allein
sitzt.

Die Deutschen schweben höher und sind schwersälliger als das andere Menschenvolk.

Sentimentalität ist absichtliche Empfindung, also salsche, unwahre, unwirkliche Emp-
sl'ndung oder Übertreibung einer wirklichen. Nun lassen sich Empsindungen aller Art
machen oder übertreiben, nicht nur die zarten und zärtlichen, sondern auch die hestigen
und gewaltsamen. Es gibt nicht nur sentimentale Güte und Jnnigkeit, sondern
auch sentimentale Härte, Gewaltsamkeit, Nücksichtslosigkeit, Krastmeierei!

Jn Deutschland gibt eS sehr viel SentimentaliLät, aber nicht sehr viel Rhetorik.

Der Deutsche denkt Extravaganzen, aber er lebt keine. Der ^Laliener spricht Extra-
vaganzen, aber er denkt keine.

Für die Deutschen besteht der Genuß des Lebens darin, sich daS Leben sauer zu
machen. -
 
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