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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1932)
DOI Artikel:
Nabl, Franz: Kindernovelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0634

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Kmdernovelle

Von Franz N!abl

(^ch will von den merkwürdigen, am Ende so Lraurig verlausenen Begeben-
^IHeiLen nur das berichLen,/was ich als MiLerlebender sehen und hören
konnte. Es sind einzelne, eine Weile durchs Licht ziehende Kettenglieder mensch-
licher Schicksale, oder, um ganz bei der WahrheiL zu bleiben, zweier Ainder-
schicksale, und alles, was dazwischen liegL und verbindet, muß ich seiner ge-
heimnisvollen EnLwicklung überlassen. Ich könnLe zwar so Lun, als besäße ich
die FähigkeiL, auch diese unsichtbaren Glieder aus ihren Liefen Schachten zu
heben und prahlerisch vor den blinden Llugen der anderen auszubreiten. Ich
glaube sogar, es gäbe nicht allzu viele Mühe, sie richtig in die offen liegenden
Teile der Kette einzufügen, aber das wäre doch nur ein frevelhaftes Glücks-
spiel und unwürdig der ehrfurchtgebietenden Wirklichkeit.

Das kleine Bergdorf, das während einiger unwahrscheinlich blau überwölb-
Ler, sonnendurchfluteLer Hochsommerwochen zum SchauplaH jener Vorgänge
werden sollte, sah aus, als seien die beiden lehten IahrzehnLe in weiter Ferne
an ihm vorbeigegliLLen. Vielleicht, daß da und dort an den Talhängen em
Waldstreifen eiliger abgeholzt worden war, als es bei germgerer wirtfchaft-
licher NoL gefchehen wäre, aber den mächtigen Bach dämmte noch keine Sperre
zum künftlichen See, und er durfte seine KrafL in eigenwilligen Bogen und
anmutigen Wasserflürzen verbrauchen, anstatt sie, gebändigt und umgeformt,
an plumpen MafLen längs endloser Drähte in reizlos öder Einförmigkeit
forLzuleiten. Die von der Paßhöhe herabkommende Straße mußte sich viele
Kilometer lang durch das Tal hinauswinden, bevor sie den nächfien Schienen-
firang erreichte, und chr von häufig vorspringenden Bergrippen immer wieder
gehemmter, unübersichtlicher Lauf zwang das je einmal während des Tages
hin- und widerfahrende Pofiautomobil zu sehr mäßiger Gefchwindigkeit. Das
einzige, von der Nntur selbfl gefchaffene Erzeugnis der Gegend, gesunde,
prächtige Baumflämme aus den Bergwäldern, wurde m bedächtigem Schritt
von fchweren, ernften Gäulen an die ferne Bahnstation gefchafft, da die ver-
altete Llnlage der Straße dem GewichL der LastkrafLwagen und der Erfchüt-
Lerung durch sie nicht standzuhalten vermochte. Llber auch die leichteren Per-
sonenwagen nahmen ihren Weg meist durch das westlich benachbarte Tal und
auf seiner neuen und kühner gebauten Straße, so daß nur Verirrte oder seltene
Freunde befcheiden verborgener LieblichkeiL im Sommer ihre AuLomobile hier
vorbeilenkten.

Das Fehlen aller IndustrieunLernehmungen im Umkreise brachte es wohl
mit sich, daß eine seit IahrhunderLen ansässige Bevölkerung, ungestört von
fremden Einwanderern, den OrL bewohnte. Nicht etwa nur die beiden Gast-
höfe, die im Dorf betriebenen Gewerbe und die wenigen außerhalb des Dorfes
gelegenen größeren BauerngüLer erbten sich beharrlich in den gleichen Fa-
milien fort oder wurden, wenn einmal der männliche Erbe fehlte, immer wie-
der von einem OrLsansässigen erheiratet; auch mit den kleinen Häusleraw
weseu, deren BesiHer sich zu harter Holzarbeit verdingen mußten, um ihr Leben
fristen zu können, erging es ganz ähnlich, und die überzähligen Kmder, die ab-
gewandert waren, weil die HeimaL ihnen kein Brot mehr bot, kehrLen selten
 
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