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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1932)
DOI Artikel:
Bernhart, Joseph: Der Mensch in der Gottlosigkeit: Eine Rede
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0773

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XXXXV.

Der Mensch Ln der GoLLloslgkeit

Eine Rede

Von Ioseph BernharL

inter dem ersten mosaischen Gebot vom Halten zu Zahwe verlangt das

^^/zweite, man solle den lLLamen des Geglaubten nicht mißbrauchen. Wir
Abendländer hören aus diesem Wort vielleicht einen anderen Sinn heraus,
als den von Ansang gemernten, aber es ist ein guter, tieser Sinn: sckileise
das Geheimnis nieht im Alltag herum, stoße das Heilige nicht hin und her
in den lrkiederungen des Menschlichen, denn es ist ettvas anderes als das
Wetter oder das Geschäft. Jm neueren Enropa hat es die gute Sitte ver-
boten, in der Gesellschaft an diese letzten Dinge zu rühren, und es konnte wohl
ein edler Takt im Spiele sein: die römische verseunclia, eine heilige Scheu,
eine zarte Diskretion, ein Schweigen der Ehrsurcht. Man lebte weit von
jener Zeit, da in Konstantinopel die Marktweiber sich zankten nber das
Dogma der Dreieinigkeit, an dem sich die Väter des Konzils überwarsen.
Aber es lag noch ein tieferer Grund in dieser Diskretion: man schwieg von
der großen Sache, wie man im Hause des Gehängten schweigt vom Stricke.
Niehsche war es, der das Schweigen brach, nm seinen Sinn auszuss)rechen:
Gott ist tot.

Seither hat das Schweigen ansgehört, und es ist laut und lanter geworden
über der peinlichen Frage. Ein lautes, lärmendes Begängnis wird dem
Toten zuteil, ein Begängnis in vielen Sprachen von Moskau bis an den
Bosporus, den Stillen Ozean und die Straße von Gibraltar. Der Bürger
zögert noch, mitzuziehen: sei es, weil der Tote, den er ja kaum gekannt hat,
ihn überhanpt nichts angeht, oder weil er noch sest des Glaubens ist, der Tote
sei nicht tot und nie zu töten, oder weil er sürchtet, sich durch irgendwelches
Ia oder Niein in dieser Angelegenheit sein Geschäst zu verderbeu. Große Zei-
tungen, Partechrogramme wissen nichts von dem Zwischensall oder wissen
doch nicht, was sie meinen sollen, oder wissen sehr genau, daß sie überhaupt
nichts meinen sollen, weil ja die Kundschast sowohl so als auch anders mei-
nen könnte — man weiß das nicht —, und Verlagshäuser, Bnchgemeinden
arretieren znr Schonung der allgemeinen Freiheit wenigstens ihre geistigen
Lieseranten: Bitte kein Wort von Margismus, von Kapitalismus, und

um Gottes willen nichts von Religion. Denn-das Publikum!

Wir aber handeln hier offen von der Gottlosigkeit als einer öffentlichen
Sache — öffentlich nicht allein, wie sies schon lange war, nämlich ohne Aus-
hebens von sich zu machen, sondern öffentlich aus nene Weise: redend,
werbend, demonstrierend. Das entbindet uns von jener Sitte des Schweigens,
vom Schweigen dervorseunäia, und es ist nur die Frage, wie wrr anch im

Augustheft I9Z2 (XXXXV, II) 681
 
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