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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 11 (Augustheft 1932)
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Goethe, Johann Wolfgang von: Goethe-Briefe: an Katharina Fabricius
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Linfert, Carl: Französische Kunst in London, [1]: aus Anlaß der großen Ausstellung n der Königlichen Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0809

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aufstellen soll: Bewußtsein und Betvußtlosigkeit werden sich verhalten wie Zettel
und Einschlag, ein Gleichnis, das ich so gerne brauche.

Die Organe des Menschen, durch Übung, Lehre, Nachdenken, Gelingen, Mißlingen,
Fördernis und Widerstand und immer wieder Nachdenken, verknüpsen ohne Bewußt-
sein in einer sreien Tätigkeit das Erworbene mit dem Angebornen, so daß es eine
Einheit hervorbringt, welche die Welt in Erstaunen setzt.

Es sind uber sechzig Jahre, daß die Konzeption des Faust bei mir jugendlich von
vorne herein klar, die ganze Reihensolge hin weniger ausführlich vorlag. Nun hab'
ich die Absicht immer sachte neben nn'r hergehen lassen und nur die mir gerade
interessantesten Stellen einzeln durchgearbeitet, so daß im zweiten Teil Lücksn
blieben, durch ein gleichmäßiges Jnteresse mit dem Übrigen zu verbinden. Hier
trat nun sreilich die große Schwierigkeit ein, dasjenige durch Vorsaß und Charakter
zu erreichen, was eigentlich der sreiwillig tätigen Natur allein zukommen sollte.
Es wäre aber nicht gut, wenn es nicht auch nach einem so langen, tätig nachdenkou-
den Leben möglich geworden wäre, und ich lasse mich keine Furcht angehen, man
werde das Ältere vom Neueren, das Spätere vom Früheren unterscheiden können,
welches wir denn den künstigen Lesern zur geneigten Einsicht übergeben wollen.
Ganz ohne Frage würd' es mir unendliche Freude machen, meinen werten, durchaus
dankbar anerkannten, weit verteilten Freunden auch bei Lebzeiten diese sehr ernsten
Scherze zu widmen, mi'Lzuteilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber
ist wirklich so absurd und konfuö, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange
verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und an
den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünen-
schutt der Stunden zunächst überschüttet werden. Berwirrende Lehre zu verwirrtem
Handel waltet über die Welt, und ich habe ni'chts angelegentlicher zu tun, als dasjenige,
waS an mir ist und geblieben ist, wo möglich zu steigern und meine Eigentümlich-
keiten zu kohobieren, wie Sie es, würdiger Freund, aus Jhrer Burg ja auch be-
werkstelligen.

Verzeihung diesem verspäteten Blatte! Ohngeachtet meiner Abgeschlossenheit findet
sich selten eine Stunde, wo man sich diese Geheimnisse des LebenS vergegenwärtigen
mag. treu angehörig

Weimar, den 17. März 16Z2.

I. W. v. Goethe.

Französische KunsL in London

Aus Anlaß der großen Ausstellung in der Königlichen Akademie
enn man in Victoria Station aus dem Zug steigt, glaubt man mit allem

aus der gleichen, sauberen Ebene zu sein. Wie in einem Park, wo das Wasser
in slachem Spiegel aufliegt und bis an den Rand der Wege leckt. Der Bahnsteig ist
Straße. Ein Schritt aus dem zierlichen Abteil, und man geht wie aus dem srischen
Asphalt einer Kurhalle. Den niedrigen Randstein säumen die gekälkten, unwahr-
scheinlich weißen Räder der Taxis, die selbec so kurz, hoch und zusammengedrückt
wie aufbockende, struppige Köter aussehen; rührend altertümlich und von einer
ausgesucht trockenen Sorgsalt der Einrichtung, mit viel Messing vor allem. Jn
Paris ist das ganz anders: einen langen, hohlen, rußigen Gang zwischen zwei
Zügen muß man lausen, mit all dem rohen Zufall der Jnstallation, alte Gitter und
Schilder ringsum: ein richtiger Bahnsteig mit amtlichen Tücken und Eisengestrüpp.
Jst man heraus, so hört die wirre Verstaubtheit nicht aus. Autos stehen gestapelt
wie in einer Güterhalle, die Straßen sind verbraucht und bunt von Lichtreklamen.
Daß man sanft und reibungslos überall durchkommt, scheint die wilde Beweg-

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