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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 11 (Augustheft 1932)
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Linfert, Carl: Französische Kunst in London, [1]: aus Anlaß der großen Ausstellung n der Königlichen Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0810

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lichkeit selber erst zu bewirken. Hmter nachlässig glattem Gebaren treibt alles
aufgeregt und durcheinander. Aber nicht lange, so liegt die Hast nur noch wie
leichte Aufkräuselung über dem Strom, und eine fließende, schmiegsame Ordnung
spannt sich — ein elastischeö Paradox — durch ihn hindurch.

London furs Auge

Jn London ist alles passend, behaglich genau und zunächst ohne Zweischneidigkeit.
Aber langsam wird uns grade das Gegenteil alles Tumults, diese stumme Ge-
messenheit selbst, verwunderlich. Jn alle nordeuropäischen Hauptstädte ist etwas
hinaufgeschlagen von dem Strom der südlichen, gar nicht so heiteren, eher uppigen,
versunken schweren Barockbauform, die das antike, scharfgegliederte Erbe in den
breiten Fluß verschlossener, schwerwandiger Bauten eintauchte. Jmmer bezeichnet
sie die Würde und Wandlungöfähigkeit einer späteuropäischen, aber noch aus der
alten Mittelmeer-Welt gewachsenen Zivilisation. Auch in London findet sich das
alles. Aber es ist fremd, kaum wiederzuerkennen. Und wer glaubt, daß in diesen
feudalbarocken Dersatzstücken, die auch hier in prunkender Bersteifung durch das
19. ^sahrhundert getragen wurden, nur wenig Abwandlung gegenüber Paris mög-
lich sei, muß staunend die verlegte Tonart zugeben. Troß weitgehender internatio-
naler Ubereinstimmung der großen Städte seit dem 17. ^sahrhundert ist London
eine abweichende, starrsinnig eigene Stadt: allein schon in den Zeugen bauhistorb
scher Entwicklung, die von Rom und PariS ausging. Gar nicht zu reden von den
Manieren und dem Gesicht der Straßen, die seit jeher ihren eigenartig schmuck-
losen Hochmut tragen und wie von einer halblauten Tatkraft erfüllt scheinen. Doch
London ist nicht ohne weiteres „englisch", als brauchte es rein englische Stilmittel,
die sonst nicht vorkommen. Vielmehr sieht es so aus: abseitig und quer nebenan
ist hier gerade das neu, gewiß aber verwandelt wieder aufgebaut worden, was
der Kontinent an Mustern bot. „Nachahmung" kommt einem nie in den Sinn bei
dieser rätselhaften Verschiebung.

Schon wenn man im Großen, Auffälligen bleibt und nur die Paulskathedrale be-
trachtet: waS für ein hohes und steilwandiges Gebirge von klassischen Geschossen,
deren Wandschichtungen wie feste Schalen sich um eine kantige, allzu frühe Frucht
schließen! Die Formen sind im einzelnen nicht ohne Fülle und weichen Schwung,
binden sich aber immer in die eckig harte Grundfigur. Auch die weit kreisende
Kuppel blüht nicht, ist ein kalter Zylinder, und die Haube des Dachs hängt hohl
und streng über dem Bau: von weitem eine Bergkuppe, aus der Nähe wirkt
sie dicht und lappig wie ein Pilz oder wie die Tuchhelme der Polizeimänner. Das
ist nun die Formwelt des italienischen Barock, die schon in Paris sehr gedämpft
und kühl angekommen ist. Doch auch in Paris würde man keinen Bau finden,
der so der organischen, körperlichen Fülle entbehrt wie dieser. Val-dekGrace und
Jnvalidenkirche treten weich herauS, mögen sie auch still sein. Gar mit italienischer
Bauart verglichen, sieht man hier nur noch die Überwindung und wohlgeformte
Hagerkeit. Aber dies eben ist merkwürdig: wohlgeformt ist auch ein so strenger,
weitausgreifender Bau. Das Klare des Südens ist auch hier, und nicht nur ver-
dünnt. Was an Formen oft wie Wachstum aussieht, findet sich auf das
Leichteste, Trockenste und Widerstandskräftigste beschränkt und zusammengezogen.
Die schon filtrierte Klarheit französischer Form scheint wie abgeweht von dem
rauhen, graudunstigen Meerwind, dünn und hart. Es muß sonderbar sein, neben
der eingehüllten, festgerafften Form, die diese Stadt beherrscht, eine umfassende
Ausstellung der französischen Kunst zu sehen, deren Entwicklung zu jeder Zeit
durch die weich auswölbende Sinnlichkeit ihrer Form bestimmt war.

Doch nun einfach „in die Ausstellung gehen", wie wenn sie irgendwo stände und
nicht gerade in London — das gelingt mir nicht. Sieht man vor diesem Hinter-

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