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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1931)
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Le Fort, Gertrud von: Die Letzte am Schafott, [2]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0124

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Die Letzte am SchafoLL

Novelle von Gerkrud von Le Fort

(Schluß)

N'un, es ist natürlich ansgeschlossen, daß dies in bewußker Anslehnung ge-
schah: die Seele dicser vorgeschritlenen Ordenssrau harre keine Möglichk'eit,
ihrer Priorin ossen entgegenZutreten. Sie nahm die Enthebung von ihrem
Amt mit vorbildlicher Haltung entgegen. Auch ist keine Nede davon, daß
ihre gersönliche Niederlage das Verhältnis zu der sungen Novizin trübte.
Es entsuhren ihr wohl einmal Äußernngen wie die: „Ach, dieses kleine
huschige Ding — ich glaube, es würde vor einem Nräuschen davonlausen!"
aber sie sagte dergleichen ohne Schärse, nnd es steht sest, daß sie überhaugt
niemals ausgehört hat, sür Blanche zu beten. Der Kamps, um den es hier
geht, ist als solcher gegen Madame Lidoine nur erkennbar, wenn man sich
deren Akt anläßlich des Verbots der ewigen Gelübde vor Augen hält, und
äußert sich zunächst nnr in einer — scheinbar sehr berechtigten — Besorgnis
über Blanches Verbleiben im Karrnel: setzt nänrlich näherte man sich den wirk-
lich gesährlichen Zeitcn. Wie immer aber, so teilte sich auch hier die Hal-
tung der bisherigen Novizinnenmeisterin sehr bald dem ganzen Kon-
vent mit.

Meine Liebe, ich will hier keine Tabellen der össentlichen Ereignissc aus-
stellen: Sie ahnen, daß wir in die Periode der Kämgse um die sogenannkc
Zivilversassung des Klerus, d. h. nm dessen Vereidigung aus die Konstitution
eingetreten sind, in deren Verlaus die Revolution allmählich zu einer wirk-
lichen Versolgung der Kirche überging. Die Haltung des Konvents von
Compiegne in Bezug aus Blanche war also nicht ganz unverständlich.

„Wir können doch jeHt niemand brauchen, der uns die Freude verdirbt", sagte
selbst die milde alte Ieanne de l'Ensance de Fesus. „Bedenken wir doch,
daß wir vielleicht schon nächste Weihnachten mit lo potit ILoi im Himmel
seiern werden!"

Und die kleine naive Constancc de Saint Denis sehte altklug hinzu: „Wenn
es nun also wirklich zn diesen Bersolgungen kommt, können wir denn auch
mit gutem Gewissen sagen, daß wir alle stark genug sein werden?"

„Nein, mein Kind, das können wir bestimmt nicht sagen", erwiderte Madame
Lidoine, die zusällig vorüberging, mit ihrer tiesen Stimme. „Allein es
kommt zum Glück auch nicht daraus an, sondern weun sene Bersolgungen ein-
treten, wird sich Seine Majestät sowohl der Starken als auch der Schwachen
unter uns annehmen müssen."

„Aber doch wohl vor allem der Schwachen?" sragte die kleine Constance ein
wenig unsicher, als Madame Lidoine weitergegangen war. Sie sprach aus,
was alle dachten, und insolgedessen antworkete ihr niemand, aber jede blickte
selbstverständlich aus Blanche.

Deren Bild in jenen Tagen ist etwas schwierig zu zeichnen. Madame Li-
doine hat uns keine gsychologischen Ausschlüsse hinterlassen, auch ihre Aktcn
über die Mchstik des Falles sind vollkommen geschlossen. Wir sinden in
ihren Notizen nur kleine praktische Hinweise wie diesen: Fch habe dem armen
Kind geraten, daß es sortsahren soll, seine Ruhe in der Angst selbst zu suchen,

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