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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1931)
DOI Artikel:
Hesse, Hermann: An einen jungen Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0181
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und daß er Geschick im Reimen habe. Es isi also selbst bei den größten
Drchtern die HandschrifL früher Versuche keineswegs immer schon wirklich
originell und überzeugend. In Schillers Iugendgedichten kann man ganz
erstaunliche Entgleisungen, und in denen von C. F. Meyer ost geradezu
Talentlosigkeit finden.

Nern, es ist nichts mit dem Beurteilen junger Talente, das Ihnen so einfach
scheint. Wenn ich Sie felbst nicht genau kenne, so weiß ich ja nicht, auf
welcher Stufe Ihrer Entwicklung Sie stehen. Ihre Gedichte können Un-
reifes enthalten, über das Sie selbst schon in sechs Monaten lächeln werden.
Es kann aber auch sein, daß günstige Umstände in Ihnen ein gewisses Talent
gerade jetzt zur Blüte gebracht haben, das aber keiner Entwicklung fähig Lst.
Es kann sein, daß die Gedichte, die Sie mir da schicken, die besten sind,
die Sie Ln Ihrem ganzen Leben zu schreiben fähig sind, es kömren aber auch
die schlechtesten sein. Es gibt Begabungen, die im Lllter von Zwanzig oder
Fünfundzwanzig anf ihrer Höhe stehen und dann rasch welken, und andere,
die erst nach dem dreißigsten Jahr, oft noch später erst zum Bewußtsein
kommen.

Also ob Sie vielleicht in fünf oder zehn Iahren ein Dichter sein werden, das
hängt gar nicht von den Versen ab, die Sie heute machen.

Die Sache hat aber noch eine andere Seite, die wir einen Llugenblick be-
trachten sollten.

Warnm denn wollen Sie ein Dichter werden? Wenn es aus Ehrgeiz und
Ruhmsucht geschieht, dann haben Sie Ihr Feld schlecht gewählt: der
Deutsche von heute macht sich aus Dichtern nicht übermäßig viel und
kommt auch ohne sie aus. Ebenso ßeht es mit dem Geldverdienen: wenn
Sie der berühmteste Dichter Deutschlands würden (vom Theater allerdings
sehe ich dabei ab), so würden Sie neben jedem Direktor oder Verwaltungs-
ratsmitglied einer Strumpf- oder Nühnadelfabrik immer noch ein armer
Schlucker bleiben.

2lber vielleicht haben Sie das Ideal, ein Dichter zu werden, darum in sich
großwerden lassen, weil Sie unter einem Dichter einen original gebliebenen,
Lm Herzen reinen, emgfänglichen und frommen Menschen verstehen, einen
Mann mit zarten Sinnen und geläutertem Gefühlsleben, einen Menschen,
der Ehrfurcht hat, und der ein beseeltes, irgendwie geadeltes Leben zu führen
sich sehnt. Melleicht sehen Sie im Dichter den Gegenpol zum Geldmenschen,
zum Gewaltmenschen. Melleicht streben Sie nach Dichtertum nicht um der
Verse oder des Ruhmes willen, sondern weil Sie ahnen, daß der Dichter nur
scheinbar eine gewisse Freiheit und Isoliernng genießt, in Wirklichkeit aber in
hohem Grade verantwortlich sein und sich opfern muß, wenn sein Dichtertum
nicht eine Maskerade sein soll.

Wenn es so ist, dann sind Sie mit Ihren Versen allerdings auf dem rich-
tigen Weg. Dann aber ist es anch ganz einerlei, ob mit der Zeit aus Ihnen
ein Dichter wird oder nicht. Denn jene hohen Eigenschaften, Llufgaben und
ZLele, die Sie dem Dichter zuschreiben, jene Treue gegen sich selbsi, jene
Ehrfurcht vor der Natur, jene Bereitschaft zu ungewöhnlicher Hingabe an
eine Llnfgabe und jene Verantwortlichkeit, die nie mit sich zusrieden ist und
gerne einen gelungenen Satz, einen wohlgebanten Bers mit schlaflosen
 
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