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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 4 (Januar 1932)
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Mechow, Karl Benno von: Sorgenfrei
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0285
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einen Schritt, dem Treppenabgrund entgegen, und fiel. Bartels sgrang ihm
in die Arme und fing ihn auf, er wäre sonst m den Schacht gestürzt. Da
lag er nun wie tot. Eben hatte er gefchrien. IeHt schrie niemand mehr,
alles war so still.

Sie brachen die Barrikade anseinander, stürmten über sie hinweg. Der
Leutnant war es, der es so eilig hatte. Wieder ein paar Zimmer, kleine
nnr; in dem ersten lag ein toter alter N^ann. Er lag auf einem kleinen
Diwan unter gefalteten Händen, feierlich und schön. Dahinter folgte noch
ein Zimmer. Es war nicht groß und troH der Dämmerung sehr hell, heller
als der hellste Tag. Das lag an den vielen Fenstern, ja, drei Wände hatten
Fenster, und eines stand offen. Seht doch, wie hoch! Itnd Wolken kommen
zu dem Fenster herein!

Dort vor dem offenen Fenster ruhte Ln einem tiefen Lehnstuhl eine Fray,
sie ruhte, sie schlief. Nichts weiter, sie schlief mit heiter-ernstem Gesicht. Die
Sonne zur I^acht — weit fort ist ihr Leuchten, wir alle vermissen sie sehr.
Nun, die Sonne wird wiederkommen nnd scheinen, sie ist ja nicht tot. PlöH-
lich steigt sie über dem Walde herauf und ist wieder über uns. Und war uns
doch für eine lange Zeit verloren, und wir dachten schon, sie schiene uns
nimmermehr. Was würde dann aus uns!

Bartels trug die Frau aus ihrem Stuhl auf ein gutes Lager. Bartels tat
es, er ordnete alles an. Der Leutnant kümmerte sich nicht darum, er stand
am Fenster und schaute hinaus. Lange Zeit stand er so und schaute hinaus.
Draußen wurde das Land langsam grcm. Da war anch der Wald, und in sei-
nen Wipfeln strich der Wind. Ilnd dahinter auf dem Meer lag ein Glanz.
Der Leutnant stand und schaute, kann sein, daß er einen Trupp Feinde be-
obachtete und sehen wollte, wo er blieb. Bartels indessen mußte alles tun
und tun lassen. Er stand bei der Frau, er begann zögernd, mit scheuen,
scheuen Männerhänden nach einer Verwundung zu suchen. Er glaubte wohl
nicht, daß der Tod so ganz einfach zum Fenster -hereingeschaut und die Frau
zn sich gerufen hatte. Er glaubte wohl auch nicht, daß die Frau aus ihrem
Schlummer bald erwachte. Die Hände, kleine Hände, waren sehr kalt und der
Puls schlug nicht mehr.

Bartels also, der ungläubige Bartels, er suchte mit den zartesten Händen,
suchte, bis er fand. Dann ging er im Zimmer auf und ab, was suchte er
denn jeHt? Er murmelte vor sich hin und schüttelte den Kops. 2lm Fenster
blieb er stehen, schante hinaus, nicht in die weite Ferne, nein in die N!ähg,
auf den Hof. Er nickte befriedigt und begann schüchtern zu sprechen: „N!icht
anders kann es sein. Das kleine Haus dort unten — m seinem Dache sind
ZLegel ansgehoben. Da hat einer gesessen, mit scharfem 2luge geschaut, ge-
zielt, geschossen, eben noch, vor ganz kurzer Zeit." Nein, anders konnte es
nicht sein.

Er nahm es sehr genau, der gute Bartels. Er suchte, fand und wollte
noch mehr finden. Er ließ SchüHen gegen das Verwalterhaus angehen und
durchsuchte alle Gebäude. Er war wütend, daß er gar nichts fand. Er griff
sich brummend an den Kopf und zerbrach sich den Verstand. Ja, dieser Ber-
stand, was versteht er!

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