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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 6 (Märzheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0471
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an ihm das Wesen des Politischen zu
bestimmen. Oann wird eö nmgekehrt not-
wendig, durch eine Besinnung auf das
PoliLische den Begriff des SLaaLeS wie-
der zu gewinnen. Das ist trotz des ab-
strakLen TiLels die eigentliche AbsichL der
SchmiLtschen Arbeit.

DaS Urphänomen des Politischen findek
SchmiLL, wenn er eS auch nicht mit diesen
Worten sagt, in der RealitäL der Grenze.
„Jn der Realität", das heißt, daß daS
Politische keinen geistigen, normatwen,
sondern existentiellen Charakter
hat: es gibt nicht einen eigenen politischen
WerL, aber das Politische besitzt „seins-
mäßige SachlichkeiL und SelbständigkeiL".
Was die Grenze betrisft, so hat sie die
FunkLion, reale EinheiLen zu konstituieren
und gegeneinander abzugrenzen. „Die po-
litische EinheiL kann ihrem Wesen nach
nicht universal in dem Sinne einer die
ganze Menschheit und die ganze Erde um-
fassenden EinheiL sein", sondern sie setzt
„eine andere, koexistierende, politische Ein-
heit" voraus und damit die „reale
Möglichkeit des Feindes". Jn
dieser MöglichkeiL liegen die MöglichkeiL
und der Ursprung deS Politischen. So
wie im Moralischen GuL und Böse, im
ÄstheLischen Schön und Häßlich, im Öko-
nomischen Nützlich und Schädlich unter-
schieden werden, so gibt es auch „eine
besondere, jenen anderen UnLerscheidungen
zwac nicht gleichartige und analoge, aber
von ihnen doch unabhängige, selbständige
und als solche ohne weiteres einleuch-
tende Unterscheidung als einfaches Krite-
rium des PoliLischen", nämlich die Un -
terscheidung von Freund und
F e i n d. Wichtig ist es, daß diese Un-
Lerscheidung nicht auf einen der andern
Gegensätze oder auf mehrere von ihnen
gegrundet ist und auch nicht auf sie zu-
rückgeführt werden kann. Das Politische
bildet nicht ein eigenes WerLgebieL auf
derselben Ebene wie das Moralische,
Ästhetische usw., mi'L einer eigenen Norm,
sondern es zieht „seine Kraft aus den
verschiedensten Bereichen menschlichen Le-
benS, aus religiösen, ökonomischen, mo-
ralischen und andern Gegensätzen und be-
zeichnet nur den InLensiLäLsgrad einer
Assoziation oder Dissoziation von Men-
schen, deren Motive religiöser, nationa-
ler, wirtschaftlicher oder anderer ArL sein
können." Der politische Gegensah stellt

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also den Grenzfall und das heißt: Ernst-
fall anderer Gegensätzlichkeiten dar. Po-
litisch, sagt SchmitL, ist jedenfalls immer
die Gruppierung, die sich an dem E r n st -
fall orientiert.

-t-

Der Ernstfall, darüber kann kein Zweifel
bestehen, ist der K r i e g. Das ist in einer
formalen Betrachtung die unausweichliche
Konsequenz der Möglichkeit der Feind-
schaft. Zum Begriff des Feindes gehört,
wenn man ihn nicht zum Diskussions-
gegner oder zum ökonomischen Konkur-
renten relativiert, und wenn man mit
SchmiLL die Feindschaft als existentiellen
Gegensatz, d. h. als den Grenzfall grund-
sätzlich von jedem religiösen, moralischen,
ökonomischen, ethnischen oder anderen
Gegensatz unterscheidet, die Eventualität
eines Kampfes. FeindschafL in diesem
letzten Sinne ist ja zu definieren als „die
seinsmäßige Negierung eines anderen
Seins". Es ist hier nicht die Rede da-
von, ob der Krieg wünschenSwert oder
nicht wünschenswert, ob er zu rechtferti-
gen oder nicht zu rechtfertigen ist. SchmiLL
verwahrt sich dagegen, daß seine Defi-
nition des Politischen „bellizistisch oder
militaristisch, imperialistisch oder pazifi-
stisch" sei. „Der Krieg ist durchauS nicht
Ziel und Zweck oder gar Jnhalt der Po-
litik, wohl aber ist er die als reale Mög-
lichkeit immer vorhandene Voraussetzung,
die daS menschliche Handeln und Denken
in eigenartiger Weise bestimmt und da-
durch ein spezifisch politisches Verhalten
bewirkt." Wenn Schmitt weiterhin sagt,
daß ein Krieg auS rein religiösen, mo-
ralischen, juristischen oder ökonomischen
Motiven sinnlos sei, so heißt daS nicht,
daß er auS diesen Motive'ü „unerlaubt"
sei, sondern daß er in diesen Wertreihen
keine Stelle hat, vielmehr erst da vor-
kommt, wo diese Gegensätze sich zur exi-
stentiellen FeindschafL steigern; es heißt
außerdem, daß der Krieg durch keinen
dieser Werte zu rechtfertigen ist, daß mit
andern Worten der Krieg, die Todesbe-
reitschaft und die Tötung von Menschen,
überhaupt „keinen normativen,
sondern nur einen existentiel-
lenSinn hat, und zwar in der Realität
einer Situation des wirklichen KampfeS
gegen einen wirklichen Feind, nicht in
irgendwelchen Idealen, Programmen oder
NormativitäLen. — Wenn eine solche
physische Vernichtung menschlichen Lebens
n i ch t aus der seinsmäßigen Behauptung
 
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