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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 7 (Aprilheft 1932)
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Picht, Werner: Die Friedensidee in den Händen der Pazifisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0489
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beklagt und dem den Hinrmel gegenüberhält, rn dem ewiger Frieden herrschc,
denn „tüsrs 18 no vva8ts in üeaven", dem wird eine Iugend, die sich zu ver-
schwenden wünscht, antworten, daß sie von einem solchen Himmel nichts
wissen wolle. Der Pazifismus mag enkgegnen, daß auch er „Streiter" brauche
und ost ein höherer Mnt zur Verteidigung einer geisligen Position gehöre
als dazu, sich den Kugeln auszusetzen. Aber dieser Einwand trifst die Sache
nicht. Es wäre selbslversiändlich völlig unberechtigt, dem Pazisislen als
solchem den Mut abzusprechen, wmngleich die Friedensbewegung, soweit sie
den Wert des irdischen Lebens nnterslreicht, sraglos den Selbslerhaltungs-
trieb ermutigt. 2lber es isl slets nur eine kleine Minderzahl in der Lage,
heldische Inßinkte aus der Ebme des Geisles auszulebm, und es iß ein Trug-
schluß, daß deren Zahl bei fortschreitender Entwicklung der Menschheit sländig
zunehme und es ein möglichsl eilig zu überwindender Rest von Barbarei, ja
Tierheit sei, wenn einige noch das Bedürfnis hätten, ihr Heldentnm „im
Fleisch" zu betätigen. Die zunehmmde Intellektnalisierung der Menschheit
isl im Gegenteil der Gabe, das Geislige als Wirklichkeit zu erleben, abträglich,
und der Intellektuelle als Typus isl der LeHte, dem eine solche Berleibli-
chung und Durchblutung der transzendentalen Welt zuzntraum wäre. Auch
hier ist es nicht angängig, sich, wie es ja im Pazifismus beliebt isl, eiuem
NüturgeseH anzuvertrauen, währmd jeder, der eine Ahnung hat von unserem
geisligen Schicksal und seiner Gefährdung, zittern müßte darum, daß unter
der zunehmenden Bewußtwerdung und Überbelichtung unserer inneren Welt
— uud nur dahin weisl eine sicher feslslellbare Enkwicklung — deren Realität
und Körperhaftigkeit sich auflöse und mit der Scheidung von der dumpfen
Erde uns Blut und Geisl in einem zu blühen aufhöre.

Llber selbst jene Iugend, die eine geislige Dingwelt in sich trägk und nicht
gesonnen isl, ein Schwert zu führen, wird, wenn sie vom Geschlecht der
Kämpfer ist, slets eine Wahlverwandtschaft zu den Helden des Schlacht-
felds fühlen und sich an ihnen zu bilden wünschm, und es isl ein eitles Be-
mühen pazifislischer Pädagogik, sich dieser inneren Stimme zu widerseHen.
Denn — und dies übersieht gerade der heroische Pazifismus völlig (auf den
im übrigen unsere obigen vorwiegend an der deutschm Friedensbewegung —
und speziell ihrer herrschendm Richtung, dem „organisatorischen" und „juri-
stischen" Pazifismus — orientiertm Einwände des Iltilitarismus und Oppor-
tunismus nicht zutreffm): der kämpferische Geisl, die soldatische Männ-
lichkeit — in welcher Form auch immer — sind das psychologisch unausbleib-
liche und sittlich notweudige Korrelat unserer aktivislischen Kultur. So hat
Scheler völlig recht, wenn er bei aller schuldigen Ehrsurcht vor diesem
Pazifismus des priuzipiellen „Nichkwiderstandes gegen die Gewalt" (Buddha,
Gaudhi, Tolstoi, Öuäker, Mennoniten, auch einige moderne Iugendbünde
gehören hierher) darauf hinweisl, daß in der abendländischen Welt dieser
Skandpunkt der Konsequenz ermangele, und daß die Ndnresistenz nur richtig
sei, wenu man mit Buddha aunimmt, das Wirklichsein der Welt sei ein
Übel: „Ouiue 6U8 68t inaluui", wmn also die Rkonresistmz sich auf alle
Übel erstreckt. Uud ferner, daß dieser Standpunkt nur richtig sei, wenn man
dem Leben einen absoluten Wert beimesse*. Wo immer wir der unbedingten

* Scheler, „Die Jdee des Friedens und der Pazifismus", Seite zz ff.

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