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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1932)
DOI Artikel:
Picht, Werner: Die Friedensidee in den Händen der Pazifisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0488

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des Todeö verfällt und das RechL auf UnanLaflbarkeiL des eigenen Lebens
verwrrkL. Dieses Gefühl für die GeweihLheiL des Lebens, dem konsequenL
die fchärffie Verdammung des Selbst„mordes" entsprichL, führt aber nichk
zu einer VerurLeilung des Krieges (wenn dieser auch als Fluch, als Symp-
Lom der UnerlöftheiL empfunden werden mag) und fordert geradezu die TöLung
des Mörders. Im genauen GegensaH dazu untergräbt eine aufgeklärLe und
enLzauberLe Gegenwart das Bewußtsein für die EinzigarLigkeit des Verbre-
chens des Mordes durch psychologifche Analysen („nicht der Mörder, der
ErmordeLe ift fchuldig"), forderL die Abfchaffnng der Todesftrafe, erseHL
den Begriff des Selbftmords durch den des FreiLods und machL die EnL-
deckung, der Krieg sei die Sünde wider den heiligen Geift. Wie man sieht,
ist es keineswegs das BewußLsein der HeiligkeiL des menschlichen Lebens
an sich, das beim Pazifismus PaLe geftanden hat, sondern die Forderung
nach einem „Recht auf Leben", wie Hiller Lreffend sagL, nach dem Recht
des Individnums auf freie Verfügung über sein Leben. Dieses „Leben"
aber lft als biologifcher, nach quantitakiven Maßftäben zn wertender Begriff
zu verftehen, so daß also der Frevel, vom Individuum aus gesehen, in der
Berkürzung seiner Lebensspanne und, im Hinblick auf die AllgemeinheiL,
in der Berringerung der Zahl lebender Menfchenwesen liegt.

Von hier aus wird die Verwandkfchaft dieser Forderungen mrt dem weft-
lichen Zivilisationsideal und seinem Motto „8sk6t)> ür8t" besonders deutlich.
Sicherheit, und zwar in erfter Linie Sicherheit des Lebens, ift das Ziel, dem
der ZivilisationsbeLrieb zuftrebt, und das diesem wiederum die beften EnL-
wicklungsmöglichkeiten sichert.

Damit aber ift eine ewige Menfchheitsforderung und Menfchheitssehnsucht
zur Dienerin eines zeitlich bedingten nnd höchft angreifbaren Kultnrideals
geworden, was nicht gefchehen konnte, ohne daß sie ihr Angesicht gründlich
verändert hätte. Man wird der gefchilderten pazififtifchen Argumentation
enLgegenhalten müssen, daß, sofern der Menfch Geiftwesen ift, seine biologifche
Exißenz kein absoluter WerL und sein „Leben" nichk zeitlich meßbar sei. Denn
damit Lriumyhiert der Nrenfch über das Tier, daß er sich über die KaLegorie
der Zoit zu erheben und ewig zu sein vermag in einem Augenblick. In dem
„WollL ihr Rackers denn ewig leben?", das Friedrich der Große seinen
fliehenden Soldaten bei Torgau zurief, zeigt sich die sponkane Berachkung
des königlichen Menfchen für die Sorge der Plebs um die Friftung ihres
Da-Seins. Ilnd immer wieder werden die adligen Inftinkte eine nene Iugend
dazu Lreiben, ihr Leben in die Schanze zu fchlagen in der geheimen Sehn-
sucht nach der Weihe des Opfers. Ein Pazifismus, der diesen Trieb nicht
verfteht nnd einbezieht, wird nie die Beften gewinnen, denen „Sicherheit",
„Wohlsein", ja „Glück" als Preis ihres EinsaHes ftets nnr Gegenftand
der Berachtnng sein kann. Einer solchen HalLung gegenüber versagen die
pazififtifchen Moral- nnd GesiLLungsargumenLe. Mag es richtig sein, daß
der Krieg die Statiftik der Berbrechen in die Höhe treibt, daß er Leidm
fchafft, daß er Kulturwerte zerftörk — all dieses wird der Iugend als kein
zu hoher Preis erfcheinen dafür, daß das fchimmernde Bild des Kämpfers.
nicht aufhöre, sich zu ernenern. Mag er ein fchlechtes Gefchäft sein — wer
wie jener amerikanifche Bifchof die Bernichtnng so vieler Iugend im Kriege

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