Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1932)
DOI Artikel:
Picht, Werner: Die Friedensidee in den Händen der Pazifisten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0487

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Friedensbewegung der geschilderten ArL hat, indem sie sich ein nnan-
greifbares Postament errichten wollte, aus Sand gebaut. Die Menschheit isl
in ihrem Handeln nicht primär dnrch vernunstgemäße Einsicht bestimmt, das
heißt, der organisatorische Pazisismus rationalistischer Herkunst ist bei seinem
Streben, sich um jeden Preis an die Wirklichkeit, wie sie ist, zu halten,
unversehens einer völlig utopistischen Borstellung vom „vernünftigen" Men-
schen versallen. Seine Methode der Ausklärung bernht aus einem sunda-
mentalen psychologischen Irrtnm. Ilnd ebenso brüchig wie seine psychologische
ist seine wissenschastliche Fundierung. Für die Behauptung, eine natur-
gesetzlich bedingte Entwicklung sühre uns einem dauernden Friedenszustand
zu, bleibt er uns den schlüssigen Beweis schuldig. „Wir sind nicht in der
Lage, ein PhasengeseH für die ganze Menschheit auszustellen, nach dem
der Friede kommen m uß" (Scheler). Der Pazisismns hat die Tiesenlage
des Friedensproblems unterschäHt. Er ist bis heute nicht zu einem Einsluß
aus die politische Realität gekommen und konnte diese ersehnte Auswirkung
nicht haben, weil er die bestimmenden Kräste im Völkerleben verkennt. Und
die Berteidiger des Krieges haben keinen Änlaß, sich durch seine Argnmente
entscheidend getrossen zu fühlen.

Die Friedensfrage ist eben kein bloßes Problem der Kulturtechnik, und sie
stellen heißt, nach Sinn und Wert von Leben und Tod selber sragen.
Etwas ist allen nicht religiös sundierten Formen des Pazisismus gemeinsam,
soweit er sich überhanpt aus die Grundsragen besinnt: die Überzeugrmg von
der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und der bedingungslosen Frevel
hastigkeit seiner gewaltsamen Beendigrmg durch Nckenschenhand. „Die Essenz
des Pazisismus ist... der Wille zum Leben." „Das vornehmste Prinzip
aller GeseHgebnng... muß das Recht des Einzelnen werden, über sein
Leben sonverän zu versügen. Das Recht aus Leben muß der Pol werden, um
den das Himmelsgewölbe des össentlichen Rechtes kreist; die Unantastbarkeit
des Lebens: das Fundammt der Repnbliken." „Du sollst nicht töten, weil
du nicht sterben willst und weil du sair handeln sollst. Dieser SaH, mit der
Menschheit als Geltungsbereich, ist die ethische Grundlage des Pazisismus."*
Und entsprechend heißt es unbewußt tiessinnig in einer amerikanischen Sam-
melpublikation über den Pazisismus an entscheidender Skelle: „IR086 vrlro

Ü6VOt6 tll6U186lv68 to tll6 3rt ok 11^6 j llÄV6 UO plsOO lokt kor tll6
art ok Ü63tli. Hiat 18 tli6 g6niu8 ok paeili8ni iu tli6 iuocl6ru vvorlck."**
Diese Wertung des Lebens scheint sich aus eine weltalte Lehre berusen
zu könnm, und auch der eben zitierte Hiller verwendet die Worte des Deka-
logs. Aber die Übereinstimmung ist nur eine scheinbare. Das lapidare „Wer
Menschenblut vergißt, des Blut soll wieder durch Menschen vergossen wer-
den", das im Alten Testament am Beginn der Menschheitsgeschichte steht
und im Nkeuen Bunde durch das Iesuswort „Wer zum Schwert greist,
wird durchs Schwert umkommen" wieder ausgenommen wird, drückt das
Gesühl magischer Zeitalter sür die BerleHung eines GrundgeseHes der
Schöpsung durch deu Mord aus, und erweitert bei ethischer Bertiesung seine
Bedeutung dahin, daß, wer immer Menschenblnt vergießt, damit dem GeseH

* Kurt Hiller, „Verwirklichung des Geistes im Staat", 1928, Seite 277, 280, 282.

" paoitism ia tlm iVloclora tVoricl, hsrauögsgebeu von DevereAllen, Veuriork 1929, Eeite XVIII
 
Annotationen